Bundeskanzler Friedrich Merz fordert China im DW-Interview auf, mehr Druck auf Russland auszuüben, um den Ukraine-Krieg zu beenden. Außerdem warnt er vor einer "tiefgreifenden Bedrohung" für Europas Sicherheit.
00:01Bei mir ist Bundeskanzler Friedrich Merz, direkt nach Abschluss der G20 hier in Johannesburg.
00:06Kanzler Merz, Sie haben während dieser ersten G20 auf afrikanischem Boden viel Zeit damit verbracht, über die Ukraine zu sprechen, ein Krisentreffen.
00:15Wir sprechen gleich über die G20, aber können Sie zunächst das Ausmaß der Bedrohung für die europäische Sicherheitsarchitektur beschreiben, wenn es um diesen 28-Punkte-Plan für die Ukraine geht?
00:30Nun, wir wissen von diesem 28-Punkte-Plan seit letztem Freitag.
00:36Ich hatte ein Telefonat mit Präsident Trump, bevor ich das Land verließ.
00:40Ich sagte ihm, dass wir uns auf einige dieser Punkte einigen könnten, aber es gibt andere, auf die wir uns nicht einigen könnten.
00:46Und ich sagte ihm, dass wir voll und ganz mit der Ukraine übereinstimmen, dass die Souveränität dieses Landes nicht gefährdet werden darf.
00:54Insofern befinden wir uns mitten in sehr ernsten Verhandlungen, die in Genf stattfinden.
01:00Unsere nationalen Sicherheitsberater sind dort und sprechen mit der amerikanischen Delegation, mit der Delegation aus der Ukraine.
01:07Und wir wissen nicht, wie die Ergebnisse dieser Gespräche sein könnten.
01:11Letzten Endes darf die Souveränität der Ukraine nicht infrage gestellt werden.
01:26Was heißt das für Europa?
01:28Wir leiden immer noch, leiden seit mittlerweile fast vier Jahren unter diesem schrecklichen Krieg in der Ukraine.
01:37Es ist eine Bedrohung für uns alle.
01:39Wir sehen schwere Angriffe auf unsere Infrastruktur.
01:42Wir sehen schwerwiegende Angriffe auf unsere Cybersicherheit.
01:46Das ist also eine tiefgreifende Bedrohung für die gesamte politische Ordnung des europäischen Kontinents.
01:51Und das ist der Grund, warum wir so engagiert sind.
01:54Und das ist auch der Grund, warum wir versuchen, diesen schrecklichen Krieg zu beenden.
02:01Sie warnen immer wieder, dass das bis Donnerstag einfach nicht möglich ist.
02:06Das ist Thanksgiving in den Vereinigten Staaten und die Frist, die Donald Trump gerne sehen würde.
02:11Sie haben auch angedeutet, dass Sie Ihren eigenen Vorschlag machen, eine Art kleineren Schritt.
02:15Können Sie das näher ausführen?
02:16Ich denke, es ist nicht erreichbar, sich bis Donnerstag auf alle 28 Punkte zu einigen.
02:26Wir versuchen also herauszufinden, welcher Teil dieses Plans einstimmig zwischen den Europäern, den Amerikanern und der Ukraine
02:33auf der einen und den Russen auf der anderen Seite erreicht werden könnte.
02:38Das ist etwas, das wir versuchen herauszufinden, was extrem kompliziert ist.
02:43Aber wir müssen voranschreiten und wie gesagt, diesen schrecklichen Krieg beenden.
02:48Und deshalb versuchen wir nun, bis Donnerstag einen Zwischenschritt umzusetzen.
02:52Und ich weiß, dass Präsident Trump wirklich daran interessiert ist, bis Donnerstag zumindest ein Zwischenergebnis zu haben.
02:59Und genau das versuchen wir alle zu erreichen.
03:01Sie sagen, das könne nicht über den Köpfen der Europäer, ohne Zustimmung der Europäer geschehen.
03:15Aber welchen Einfluss hat Europa tatsächlich?
03:17Nun, es gibt so viele Elemente in diesem Plan, die die Zustimmung der europäischen Seite erfordern.
03:24Und ich gebe Ihnen ein Beispiel. Die russischen Vermögenswerte, die in Brüssel angelegt sind, können nicht an die Amerikaner ausgezahlt werden.
03:32Das ist undenkbar.
03:34Wenn dieser Plan also Wirklichkeit wert, ist die Unterstützung der Europäer definitiv nötig.
03:39Und das ist der Grund, warum wir mit am Tisch sitzen.
03:42Die G20-Präsidentschaft hier betonte nun das Völkerrecht, das humanitäre Recht,
03:54und die regelbasierte internationale Ordnung in Ihrem Abschlussstatement,
03:58was für G20, eigentlich ja eine Wirtschaftsrunde, sehr ungewöhnlich ist.
04:03Cyril Ramaphosa positionierte sich offen gegen die Vereinigten Staaten, um überhaupt ein Statement zu erreichen.
04:08Dies ist Afrika mit großem Potenzial.
04:10Was gewinnen die Afrikaner durch eine solche Solidarität?
04:13Dieser G20-Gipfel in Johannesburg, Südafrika, markiert einen tiefgreifenden Wandel in unserer internationalen Ordnung.
04:24Denn Afrika liegt auf dem Tisch.
04:26Und niemand verlässt dieses Land heute ohne die feste Überzeugung, dass Afrika in Zukunft eine viel größere Rolle spielen muss.
04:34Dies ist der am schnellsten wachsende Kontinent der Welt mit einer jungen Bevölkerung.
04:38Sehr interessant für Unternehmen, aber sie sind am Tisch und sie sind da und werden eine viel größere Rolle spielen als früher.
04:56Und abschließend, welche Hoffnungen haben Sie, dass China Russland über die Ukraine zähmen könnte?
05:01Sie haben gerade mit Li Qiang, dem chinesischen Premierminister, gesprochen.
05:05Ich hatte ein sehr langes Treffen mit dem Premierminister Chinas, um meinen Besuch in China im nächsten Jahr vorzubereiten.
05:15China könnte eine Rolle spielen. China könnte mehr Druck auf Russland ausüben, diesen Krieg zu beenden.
05:21Und das ist Teil meiner Gespräche mit der chinesischen Regierung und wird, falls nötig, Teil meiner Gespräche mit dem chinesischen Präsidenten im nächsten Jahr sein.
05:29Aber ich hoffe sehr, dass wir in diesem Krieg vorher zumindest zu einem Waffenstillstand kommen werden, damit dies unser Treffen im nächsten Jahr nicht überschattet.
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