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  • vor 11 Stunden
Berichten zufolge haben US-amerikanische und russische Unterhändler einen Plan zur Beendigung des Ukrainekriegs vorgelegt. Der Ex-Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, übt im DW-Interview Kritik.

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Transkript
00:00Botschafter Heusken, guten Tag. Es gibt immer mehr Medienberichte, dass die USA und Russland
00:09offenbar einen Friedensplan für die Beendigung des Krieges in der Ukraine ausgearbeitet haben
00:16aus 28 Punkten. Es gibt immer mehr Details, aber noch keine offizielle Bestätigung, während
00:21wir sprechen. Und trotzdem gibt es einige Punkte, die schon diskutiert werden. Zum Beispiel,
00:26dass die Ukraine sich aus Donbass komplett zurückziehen soll, also auch aus den Gebieten,
00:32die noch unter Kiewskontrolle sind. Die ukrainische Armee soll halbiert werden und so weiter.
00:40Zunächst einmal, das sieht für manche Beobachter als eine Kapitulation der Ukraine. Wie sehen
00:45Sie das? Ja, also zunächst einmal, es wundert mich nicht, dass die beiden miteinander gesprochen
00:54haben. Steve Witkow und Herr Dimitrieff, die kennen sich, die haben schon vorher miteinander
01:01gesprochen, sind ein bisschen geistesverwandt. Und man muss wissen, Witkow kommt ursprünglich
01:07auch aus einer russischen Familie. In Deutschland würden wir sagen, das ist ein Russland-Versteher.
01:13Und wenn dann etwas herauskommt, wie Sie es da geschildert haben, ich habe auch keine eigenen
01:19Quellen dazu. Dann überrascht mich das nicht. Aber wenn man die Punkte, die jetzt durchsickern,
01:27sich anhört, dann ist das etwas, was für die Ukraine völlig unakzeptabel ist. Also aus
01:34meiner Sicht ist das nichts, was jetzt die Grundlage auch für einen Frieden sein kann,
01:40den wir natürlich alle hoffen, dass er bald eintritt.
01:44Dann würde ich vorschlagen, wir gehen einzelne Punkte durch. Punkt eins, also die Ukraine soll
01:50sich komplett aus dem Donbass zurückziehen. Und so ist zu lesen, es gibt einen Vorschlag,
01:57dass Russland das quasi mieten soll und so eine Art Miete der Ukraine zahlen. Das heißt,
02:03juristisch, völkerrechtlich wäre das weiterhin Teil der Ukraine. Ist es ein gangbarer Weg
02:09oder kann man darüber diskutieren?
02:11Also zunächst mal halte ich es für völlig unakzeptabel, dass sich die Ukraine zurückzieht
02:18aus Gebieten, die von Russland nicht besetzt sind. Das ist etwas, was politisch in der Ukraine
02:25völlig unakzeptabel sein wird. Wenn es um den zweiten Teil geht, dass man sagt über diesen
02:32Status des Donbass, also was Sie gesagt haben, soll gemietet werden oder sowas, das ist etwas,
02:40über das man dann diskutieren kann, wenn ein Waffenstillstand ist, wenn man überlegt,
02:46wie geht man mit den Gebieten um. Ganz wichtig ist, und das wäre ja bei einer Miete sozusagen
02:54auch anerkannt, dass die Ukraine nicht ihre Souveränität, ihre territoriale Integrität
03:02formell aufgibt, sondern dass eben auch der Donbass Teil der Ukraine bleibt. Das halte ich für
03:08sehr wichtig. Also das wäre ein Element. Nur die Aufgabe von Territorium ist etwas, was für
03:14den ukrainischen Präsidenten, wenn er das akzeptieren würde, wäre das selbstmörderisch.
03:20Ein weiterer Punkt, der durchgesickert ist, dass die ukrainische Armee halbiert werden soll
03:27und auch auf bestimmte Waffen, wir wissen nicht, welche gemein sind, aber offenbar irgendwelche
03:32starke Waffen, dass die dann nicht mehr eingesetzt werden können oder vom Westen nicht geliefert
03:39werden. Was halten Sie davon?
03:41Auch das ist völlig unakzeptabel, denn damit würde die Ukraine ja auf Dauer zum Spielball der
03:49russischen Interessen werden. Wenn Russland dann irgendwann mal Wladimir Putin oder sein
03:55Nachfolger auf die Idee kommt, jetzt greifen wir mal wieder die Ukraine an, dann wäre das
04:00möglich. Gerade das Gegenteil muss ja das Ergebnis eines Friedens sein, dass die Ukraine entweder
04:09Mitglied der NATO wird, was ich derzeit nicht für realistisch halte, aber auf der anderen Seite
04:14in einen Zustand versetzt wird, indem es sich jeder russische Führer dreimal überlegt,
04:21die Ukraine nochmal anzugreifen, weil sie eben so stark ausgerüstet ist, dass sie verteidigungsfähig
04:28ist, sodass nicht wieder ein Überfall gelingen kann. Also auch dieser Punkt ist aus meiner
04:34Sicht völlig unakzeptabel.
04:37Ein weiterer Punkt, über den gesprochen wird, wäre die russische Sprache. Also in diesem
04:42Plan steht angeblich, dass die russische Sprache aufgewertet werden soll, offizielle Sprache
04:47oder Amtssprache, es ist noch nicht ganz klar, werden soll. Und auch die russische orthodoxe
04:52Kirche soll wieder die Rechte bekommen, die sie früher mal hatte. Was halten Sie von diesen
04:58Vorschlägen?
04:59Ja, also was Sprachen anbelangt, so glaube ich, dass man auf Dauer überall dazu kommen
05:08muss, dass man auch Vorgaben, wie es im Europarat gemacht werden oder an anderer Stelle, dass
05:16Minderheitensprachen auch einen gewissen Status haben. Das haben wir in der Europäischen
05:22Union, wir haben in Deutschland das Sorbisch oder, wenn Sie sich oben Schleswig-Holstein
05:29anschauen, Minderheitenrechte, auch Möglichkeiten, dänische Sprache, sowas. Da muss man drüber
05:35reden, was die Religionsfreiheit anbelangt. Das ist eine Sache der Religionen und da muss
05:44gesehen werden, wie man das macht. Das ist das Problem bei der russisch-orthodoxen Kirche
05:49ist, dass sie ja eine Staatskirche ist. Wir sehen, dass der Kirill, der oberste der
05:55russisch-orthodoxen Kirche, ja ein Parteigänger von und sehr eng an Putin ist. Also darüber
06:01wird auch Politik gemacht. Das ist etwas, was man, es gibt da nicht die Staatsferne der
06:07Kirche in Russland und das ist etwas, was man bedenken muss, wenn man über dieses Thema
06:12redet. Die Tatsache, dass weder die Ukraine noch die Europäische Union in diese Gespräche
06:19zwischen den USA und Russland eingebunden waren, also von diesem Plan aus den Medien erfahren
06:24haben sozusagen. Wie bewerten Sie das?
06:28Ja, also das überrascht mich nicht. Mich würde es übrigens auch nicht überraschen, wenn Sie
06:33jetzt über Ukraine und über die Europäische Union reden. Mich würde es nicht überraschen,
06:38wenn Sergej Lavrov davon nichts weiß. Denn es gibt in Russland eine gewisse Konkurrenz
06:43zwischen Herrn Dimitrov und Herrn Lavrov. Und auch amerikanischer Seite gibt es auch eine
06:47gewisse Differenz zwischen Herrn Witkow, wie gesagt, aus meiner Sicht ein Russland-Versteher
06:53und dem Außenminister Rubio, der dafür nicht unbedingt bekannt ist. Also das geht schon da
06:59los, dass ich glaube, dass in Russland, wo Lavrov ja jetzt auch in die Kritik gerät, dass das
07:05dort nicht abgestimmt ist. Und die Ukraine und die Europäische Union sind auch, bin ich
07:12auch ziemlich sicher, nicht involviert. Denn das, was Sie da als Ergebnis darstellen oder
07:19was durchsiegert, ist etwas, was, wie gesagt, nicht akzeptabel und durchsetzbar ist.
07:26Was denken Sie, wie soll die Europäische Union auf diesen Plan reagieren? Also bis jetzt
07:31hören wir zurückhaltende Reaktionen bis skeptische Reaktionen aus Brüssel.
07:35Ja, ich würde darauf gelassen reagieren. Es passiert viel und es wird immer wieder
07:42was Neues sickert durch. Man weiß nicht, was das für ein Status ist. Ich glaube, wir
07:48müssen einfach mantramäßig daran festhalten, dass über die Ukraine nur verhandelt werden
07:54darf mit der Ukraine selbst. Ich war ja, wie Sie wissen, 2015 auch bei den Minsk-Gesprächen
08:01dabei. Da ist jeder einzelne Paragraf des Minsker Abkommens mit Petroposchenko auch verhandelt
08:08worden. Der war dabei. Und man muss die Ukraine in solche Verhandlungen mit einbeziehen. Es
08:15geht nicht über die Köpfe des Landes mit, das unglaubliche Opfer jeden Tag erbringt für
08:22die Freiheit des Landes, für auch letztlich die Freiheit und Sicherheit Europas.
08:27Dieser Friedensplan kommt zu einem Zeitpunkt, wo die Ukraine einen großen, der größten Korruptionsskandale
08:35der jüngsten Geschichte erlebt. Minister mussten gehen. Die Umgebung des Präsidenten Selenskyj ist
08:43in der Kritik und soll da involviert sein. Andererseits im Krieg, dem russischen Krieg, stehen die
08:50ukrainischen Truppen stark unter Druck im Osten, im Donbass, in der Stadt Bokrovsk, aber auch in
08:55anderen. Wie sehr ist die Ukraine geschwächt zu diesem Zeitpunkt und kann es dazu führen, dass sie quasi
09:00gezwungen wird, zumindest darüber zu verhandeln?
09:04Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das eine ist die ukrainische innerpolitische Situation. Ich habe das schon
09:12seit einiger Zeit mit Sorge beobachtet. Ich habe auch kritisiert noch als Vorsitzender der
09:18Münchner Sicherheitskonferenz, dass der Präsident der Ukraine, Selenskyj, verhindert hat, dass sein
09:25Vorgänger, Präsident Poroschenko, zum Beispiel an der Münchner Sicherheitskonferenz teilgenommen hat. Es gibt
09:30also eine Tendenz zu einer sehr autoritären Führung in der Ukraine und da ist das Umfeld der Leiter der
09:38Administration. Herr Jermak spielt da auch eine aus meiner Sicht unrühmliche Rolle. Ich glaube, dass
09:44dringend es notwendig ist, dass in der Ukraine die politischen Kreise sozusagen geschlossen werden. Es
09:51gibt ja den Vorschlag einer Regierung der nationalen Einheit. Es kann nicht sein, dass in diesem
09:59Krieg die Parteien, die ich alle für patriotische Patrioten halte, auch wie Herrn Poroschenko, dass die
10:04nicht mit einbezogen werden. Und das wäre aus meiner Sicht notwendig. Auf der anderen Seite, ja, der
10:10Präsident ist geschwächt, aber die Position des Präsidenten, nämlich eine Position auch der Klarheit,
10:17auch der Stärke und der Wehrhaftigkeit, diese Position ist ja keine Position allein des Präsidenten,
10:24sondern der Ukrainer insbesondere, insgesamt. Und ich habe bei allem Leid, was die ukrainische
10:31Bevölkerung jeden Tag erlebt, die ständigen Angriffe Russlands, habe ich trotzdem das Gefühl, dass die
10:38Ukrainer zu ihrem Land stehen, zur Verteidigung. Sie wissen, was passiert, wenn Russland weitere Teile
10:46übernimmt. Sie sehen, was in den besetzten Gebieten passiert. Und deswegen glaube ich, dass die
10:51Verteidigungsbereitschaft trotz aller Müdigkeit weiter aufrechterhalten wird. Das heißt, die Ukraine als
10:57solche ist nicht geschwächt. Präsident Selenskyj muss überlegen, wie er auf diese Vorwürfe, die jetzt auch
11:05substanziiert kommen, wie er darauf reagiert. Wie gesagt, mein Punkt wäre, nimm die Hand auf von
11:11Oppositionspolitikern und schaffe eine Regierung der nationalen Einheit.
11:17Und Präsident Selenskyj hat ja auch selbst Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Er war jetzt gerade in der
11:22Türkei. Das heißt, auch die Ukraine versucht, nochmal die Gespräche mit Russland anzustoßen, die bis
11:29jetzt nicht gefruchtet haben, weil auch die russische Delegation nicht das Niveau hatte aus
11:35Kiewersicht, um wirklich Entscheidungen zu treffen. Wie bewerten Sie jetzt insgesamt diesen Zeitpunkt, wo wir
11:41sprechen? Sind die Chancen auf Verhandlungen, aber vielleicht sogar auf eine Waffenruhe gestiegen?
11:46Also zunächst mal halte ich es für absolut richtig, dass von ukrainischer Seite immer wieder
11:53darauf hingewiesen wird, wir sind verhandlungsbereit. Sie erinnern sich, Präsident Selenskyj ist ja auch
11:58seinerzeit, als dann vereinbart worden ist, Gespräche in Istanbul. Er ist nach Istanbul gereist für solche
12:04Gespräche. Es war Wladimir Putin, der nicht bereit war, dort hinzukommen und die Verhandlungen zu führen.
12:10Deswegen finde ich es richtig, dass das immer wieder erfolgt. Ich befürchte leider,
12:15dass wir zu richtigen Verhandlungen, zu Verhandlungen, die zu akzeptablen Lösungen
12:22führen, erst kommen werden, wenn Wladimir Putin erkennt, dass er die Kriegsziele, die er sich
12:30gestellt hat, das heißt eine Neutralisierung der Ukraine, eine Übernahme der Gebiete von der
12:39vier Regionen, eine Installierung einer Marionettenregierung, wenn er erkennt, dass er diese Ziele nicht
12:54erreicht, weil die Wirtschaft immer schlechter wird, weil die Unterstützung für seinen Krieg zu Hause
12:59dann doch langsam bröckelt. Erst dann bekommen wir richtige Verhandlungen. Deswegen müssen wir
13:06weiter die Ukraine militärisch-politisch unterstützen. Aus einer Position der relativen Stärke kann man dann zu
13:12Verhandlungen kommen, die hoffentlich so schnell wie möglich kommen. Aber das muss eine realistische
13:19Basis haben. Das, was gerade durchsickert von den Geschäftsleuten, das sind ja beides Geschäftsleute, auch
13:25Dmitrijev, der Russe, ist ja einer, der früher bei McKinsey gearbeitet hat und der bei Goldman Sachs gearbeitet hat.
13:34Das sind ja Geschäftsleute, Wittkopf genauso. Das kann nicht die Grundlage sein.
13:38Herr Botschafter Heusken, vielen Dank für dieses Gespräch.
13:42Sehr gerne.
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