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  • vor 9 Stunden
Mütter mit Betreuungspflichten seien ja nicht das Problem, aber wer seine Arbeitszeit freiwillig reduziert, die oder der belaste die Gesellschaft – diesen Eindruck kann man laufend gewinnen, wenn man dem ÖVP-Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer zuhört. Seine Parteikollegin Johanna Mikl-Leitner hat es einmal noch salopper formuliert: Wer in Teilzeit arbeitet, sei asozial. Später wurde das Wording dann auf "unsolidarisch" entschärft.

Und doch stellt sich die Frage: Warum ist das Reduzieren der persönlichen Arbeitszeit so ein Reizthema für einige Politikerinnen und Politiker? Und: Wenn Teilzeit so schlimm ist, warum wird sie in Österreich dann seit Jahren immer beliebter, oder zumindest verbreiteter?

Im STANDARD-Videoformat "Österreich, erklärt" blicken wir hinter das politische Hickhack rund um die Teilzeit. Wir schauen auf Daten und Fakten zum Thema, und stellen die Frage: Gehört in Österreich nun mehr gearbeitet, oder gibt es gute Gründe für eine Veränderungen in unserer Arbeitswelt?

In dieser Folge zu sehen: Anika Dang (Redakteurin Karriere); Redaktion und Schnitt: Tobias Holub; Kamera und Lektorat: Laura Schmidt; Gestaltung: Yasaman Hasani; Sounddesign: Christoph Neuwirth; Chef vom Dienst Audio/Video: Zsolt Wilhelm

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Transkript
00:00Das Thema Teilzeit sorgt in Österreich immer wieder für Debatten, die Diskussion wird aber
00:05meist angestoßen durch Wortmeldungen aus der Politik. Viele PolitikerInnen sind also der
00:11Meinung, Menschen, die Teilzeit arbeiten, hätten zu viel Freizeit und würden gleichzeitig zu wenig
00:16zur Gesellschaft beitragen. Die Daten zur Teilzeit zeigen aber ein differenziertes Bild.
00:30Mein Name ist Annika Dang und ich arbeite im Karriere-Ressort beim Standard.
00:35Das Thema Teilzeit sorgt in Österreich immer wieder für Debatten. Die Diskussion wird dabei
00:44meist angestoßen durch Wortmeldungen aus der Politik. Zuletzt hat Wirtschaftsminister Wolfgang
00:50Hartmannsdorfer von der ÖVP die Debatte nochmal neu angeheizt.
00:54Es geht nicht um Teilzeitarbeitskräfte, die jemanden zum Pflegen haben, die ein Kind zu betreuen haben,
00:59oder nicht gesund sein. Es geht ausschließlich um das sogenannte Lifestyle-Teilzeit.
01:04Mit diesem Begriff möchte er all jene kritisieren, die nicht aus einer Notwendigkeit heraus,
01:09sondern freiwillig in Teilzeit arbeiten. Auch die niederösterreichische Landeshauptfrau
01:14Johanna Mikl-Leitner ist kein Fan der Teilzeit. Die ÖVP-PolitikerIn sorgte Anfang des Jahres für
01:20einen Skandal, als sie Teilzeitarbeitende als asozial bezeichnete. Ihre Aussage sorgte für ordentlich Kritik,
01:28daraufhin ruderte ihr Büro zurück und bezeichnete die Teilzeitarbeitende stattdessen
01:33als unsolidarisch. Es zeigt aber, die Diskussion um die Arbeitszeit wird immer wieder geführt.
01:39Und das auch nicht nur in Österreich. Beispielsweise der deutsche Bundeskanzler von der CDU, Friedrich Merz,
01:45ist der Meinung, dass die Beschäftigten in Deutschland zu wenig arbeiten.
01:49Mit 4-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand unseres Landes nicht erhalten können.
01:55Viele PolitikerInnen sind also der Meinung, Menschen, die Teilzeit arbeiten, hätten zu viel Freizeit und würden
02:01gleichzeitig zu wenig zur Gesellschaft beitragen. Die Daten zur Teilzeit zeigen aber ein differenziertes Bild.
02:07Die Datenlage rund um die Teilzeit in Österreich ist eigentlich sehr gut. Also es wird ganz gut erhoben,
02:15wer Teilzeit arbeitet und auch aus welchen Gründen. Insgesamt arbeiten 31,5 Prozent der österreichischen
02:23Bevölkerung in Teilzeit. Das entspricht also ungefähr einem Drittel. Wenn man jetzt den Zeitverlauf ansieht,
02:29waren es im Jahr 2010 nur etwa ein Viertel. Was bei aller Kritik also stimmt, ist, dass immer mehr
02:35Menschen Teilzeit arbeiten. Mit dieser Quote liegt Österreich im EU-Spitzenfeld. Nur in den
02:41Niederlanden wird noch öfter in Teilzeit gearbeitet. Ein Blick auf die Geschlechter zeigt, Teilzeitarbeit
02:47ist weiblich. Denn mehr als die Hälfte der Frauen in Österreich arbeitet nicht Vollzeit. Bei den Männern sind
02:53es hingegen nur 13,7 Prozent. Im Schnitt arbeiten Teilzeitbeschäftigte in Österreich 22 Stunden pro
03:00Woche. Das liegt aber auch daran, dass geringfügig Beschäftigte, die nur wenige Stunden pro Woche
03:05arbeiten, auch in diese Statistik hineinfallen. Circa ein Drittel arbeitet beispielsweise 30 bis 35 Stunden
03:11und ist damit eigentlich relativ nah an der Vollzeit, die meist zwischen 38 bis 40 Stunden beträgt. Laut der
03:18Mikrozensus Arbeitskräfterhebung der Statistik Austria aus dem Vorjahr arbeiten die meisten
03:23Menschen wegen Betreuungsgründen, also von Kindern oder älteren Angehörigen in Teilzeit. Dahinter folgt
03:29die Angabe, dass keine Vollzeittätigkeit gewünscht ist. Hier könnte man also eine freiwillige Teilzeit
03:34verorten. Weitere 12 Prozent nennen Aus- und Weiterbildung als Grund, nicht Vollzeit zu arbeiten
03:40und 6 Prozent geben an, dass sie keine Vollzeitstelle gefunden haben. Die restlichen Prozent entfallen auf
03:47sonstige Angaben, beispielsweise gesundheitliche Gründe. Ein Blick auf die Geschlechter zeigt, dass der
03:54häufigste Grund, aus dem Vor- und Teilzeit arbeiten, Kinderbetreuung ist. Bei Männern ist Aus- und
04:00Weiterbildung der häufigste Grund, Teilzeit zu arbeiten. Der Anteil von Frauen und Männern, die keine
04:06Vollzeitstelle wollen, ist dabei circa ausgeglichen. Laut der Statistik Austria zeigt sich darin eine
04:12ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Das liegt vor allem auch daran, dass
04:18Kinderbetreuungsplätze fehlen. Laut der Kindertagesheim-Statistik sind nur knapp 60 Prozent der Betreuungsplätze
04:26für Kinder zwischen 0 bis 5 Jahren VIF-konform. Das heißt, sie lassen sich mit einem Vollzeitjob
04:31vereinbaren. Vor allem die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind hier enorm. Während in Wien 90 Prozent
04:37der Betreuungsplätze VIF-konform sind, sind es in den Bundesländern Kärnten und Oberösterreich nur 28
04:44beziehungsweise 39 Prozent. Eine Maßnahme, die hier von der Bundesregierung geplant ist, ist ein massiver
04:49Ausbau der Kinderbetreuungsplätze. Insgesamt sollen 4,5 Milliarden Euro bis 2030 investiert werden.
04:55KritikerInnen sehen das aber doch noch als unzureichend in Anbetracht, wie die Lage derzeit ist. Ein weiterer
05:02wichtiger Punkt wäre dabei auch die Karenzzeiten zwischen Vätern und Müttern besser aufzuteilen.
05:07Hier zeigt sich nämlich auch ein langfristiger Effekt. Je früher Eltern die Karenz gerecht
05:13aufteilen, desto mehr zieht sich das dann auch ins spätere Leben und Arbeitsleben. Ein weiterer Punkt,
05:18der in der Debatte genannt wurde, war auch ein Rechtsanspruch auf Vollzeitarbeit. Es gibt ja
05:24auch viele Teilzeitbeschäftigte, die gerne mehr Stunden arbeiten möchten, es aber nicht können,
05:28weil ihnen keine Stelle angeboten wird. Die Daten zeigen nämlich auch, dass immer mehr Stellen in
05:34Teilzeit angeboten werden. Das ist vor allem in Branchen der Fall, in denen vorwiegend Frauen
05:38arbeiten, beispielsweise im Gesundheitswesen, in der Erziehung, aber auch im Handel. Das heißt,
05:43hier könnte man auch noch mal nachbessern und die Situation für Teilzeitbeschäftigte verbessern.
05:47Ein Kritikpunkt, der häufig an der hohen Teilzeitrate genannt wird, ist, dass so die Wirtschaftsleistung
05:56sinkt, weil einfach das Arbeitsvolumen geringer ausfällt. Dadurch würde der Fachkräftemangel
06:02verstärkt und der Wohlstand gefährdet werden. Wir müssen auf allen Ebenen schauen, dass das
06:08Arbeitskräftepotenzial, das es gibt, unseren Wohlstand und unsere Sozialleistungen weiter finanzieren.
06:15Bei aller wirtschaftlicher Kritik an der Teilzeit zeigt sich aber auch, dass Teilzeit eigentlich
06:20ein Jobmotor sein kann. Immer mehr Unternehmen bieten Teilzeitstellen an und sie werden auch
06:26öfter angenommen. Gleichzeitig bietet Teilzeitunternehmen auch Flexibilität, beispielsweise wenn es darum
06:31geht, Kosten zu besetzen und verschiedene Arbeitsmodelle anzubieten. Auf individueller Ebene wirkt sich
06:37Teilzeit vor allem auch auf die Einkommens- und Karrierechancen von Beschäftigten aus. Es gibt
06:43zahlreiche Statistiken, die belegen, dass Teilzeitkräfte beispielsweise bei Beförderungen
06:47oft übergangen werden. Und auch auf das Lebenseinkommen geht Teilzeitbeschäftigten natürlich ein großer
06:52Teil eines Einkommens im Vergleich zu einer Vollzeitkraft verloren.
06:56Ein differenzierten Blick auf die Teilzeit liefert auch eine Umfrage von StepStone aus dem Jahr
07:012023. Hier geben mehr als die Hälfte der Menschen an, dass sie gerne mehr Zeit für sich und ihr Umfeld
07:07haben möchten und aus diesem Grund Teilzeit arbeiten. Aber auch ca. 40% der Teilnehmenden gaben an,
07:13Teilzeit zu arbeiten, weil die Belastung im Job sonst körperlich oder mental zu groß für sie
07:18wäre. Das zeigt, dass sich die Arbeitswelt auch immer weiter verändert und der Druck, der auf vielen
07:23Beschäftigten lastet, immer größer wird. Im Rahmen der Umfrage konnten mehrere Antworten ausgewählt werden
07:28und drei von zehn Befragten haben auch angegeben, dass Träume wie das Eigenheim in weite Ferne
07:33gerückt sind. Das zeigt also auch, selbst wenn Beschäftigte ein paar Stunden aufstocken würden,
07:38sie sich solche großen Träume finanziell nicht mehr leisten könnten.
07:42Wenn wir über Teilzeitarbeit sprechen, sollten wir aber eigentlich auch über die Vollzeit reden
07:49und woher die Norm kommt. Die Soziologin Bettina Stadler von der Universität Graz sieht diese zum
07:54Beispiel sehr kritisch. Sie sagt, dass die Norm der Vollzeitarbeit eigentlich aus der Zeit nach dem
07:58Zweiten Weltkrieg entstanden ist und sehr männlich geprägt ist. Das heißt, Vollzeitarbeit geht sich
08:03eigentlich nur aus, wenn es noch eine zweite Person gibt, die die unbezahlte Care-Arbeit,
08:07die beispielsweise den Haushalt oder die Kinderbetreuung übernimmt. Ihr Vorschlag wäre
08:11beispielsweise, dass berufstätige Eltern sich die Care- und Erwerbsarbeit besser aufteilen würden,
08:17beispielsweise indem beide Eltern 30 Stunden arbeiten, anstatt ein Elternteil 40 und einer 20 Stunden.
08:23Der Soziologe Jörg Flecker von der Universität Wien sagt beispielsweise auch, dass ältere
08:29Beschäftigte es oft schwieriger haben, am Arbeitsmarkt überhaupt Anstellung zu finden
08:33und Teilzeitarbeit hier auch Abhilfe schaffen könnte. Auch in der Bundesregierung scheint man
08:38sich nicht ganz eins darüber zu sein, wie man weiter vorgehen möchte. Der SPÖ-Finanzminister
08:43Markus Matherbauer ist der Meinung, dass man Teilzeitbeschäftigten mehr Dank entgegenbringen
08:47sollte, dass sie einer Erwerbsarbeit nachgehen. Viele Teilzeitbeschäftigte arbeiten auch
08:51unter bekäheren Bedingungen oder haben oft ein niedriges Einkommen. Er ist der Meinung,
08:56dass man Unternehmen auch mehr in die Pflicht nehmen sollte, Vollzeitstellen anzubieten und
09:00die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Auch die NEOS teilen nicht die Einschätzung der ÖVP,
09:05dass Teilzeitkräfte sanktioniert werden sollten. Sie sind der Ansicht, dass die Anreize für Vollzeit
09:10geschaffen werden sollten, also dass beispielsweise Überstunden weniger besteuert werden sollten und so
09:15Anreize geschaffen werden, mehr Stunden zu arbeiten. Die Debatte rund um die Teilzeit wird sehr
09:20emotional geführt und immer wieder durch Wortmeldungen aus der Politik aufgeheizt. Für
09:25viele Beschäftigte gehört Teilzeitarbeit aber eigentlich einfach zu ihrem Leben dazu, weil sich
09:29der Job sonst nicht mit Betreuungspflichten oder ihrem Gesundheitszustand vereinbaren lassen würde.
09:34Statt also mit Sanktionen zu drohen, wäre es wahrscheinlich zielführende, auf die Hintergründe
09:38hinter der Teilzeit zu blicken und Beschäftigten für ihre Probleme Lösungen anzubieten.
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