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  • vor 2 Tagen
Lebensmittel in Österreich sind teurer als in den meisten Nachbarländern. Preisvergleiche zeigen: Selbst identische Markenprodukte kosten hier oft deutlich mehr als etwa in Deutschland.

Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) will den „Österreich-Aufschlag“ abschaffen, Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) setzt auf Preiseingriffe. Doch welche Faktoren treiben die Kosten tatsächlich in die Höhe – und wie könnten sie langfristig gesenkt werden?

In dieser Folge von „Österreich, erklärt“ sprechen wir über die wahren Gründe für die hohen Lebensmittelpreise. Wir zeigen, welche Rolle EU-Vorgaben spielen, warum der Markt in Österreich so stark konzentriert ist – und stellen die Frage: Was machen andere Länder besser?

In dieser Folge zu sehen: Verena Kainrath (Redakteurin Wirtschaft); Redaktion und Schnitt: Laura Schmidt; Gestaltung: Yasaman Hasani; Kamera: Tobias Holub; Sounddesign: Christoph Neuwirth; Chef vom Dienst Video: Zsolt Wilhelm

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Transkript
00:00Salopp gesagt bestimmen vier große Supermarktkonzerne in Österreich, was auf unseren Tisch kommt,
00:06was in den Regalen steht. Das ist fast einzigartig in Europa.
00:21Mein Name ist Verena Keinrath. Ich bin Wirtschaftsredakteurin des Standard und
00:26beschäftige mich viel mit Lebensmitteln, Landwirtschaft, Handel, Konsum.
00:34Lebensmittel in Österreich zu kaufen ist teurer als in Deutschland. Das lässt sich an jeder Supermarktkasse beobachten.
00:42Vergleichbare internationale Markenprodukte kosten mitunter sogar das Doppelte.
00:47Das zeigen Preisvergleiche der Arbeiterkammer regelmäßig. Da geht es zum Beispiel jetzt um Markeneis.
00:51Chips, Fertigpizza, Kosmetikprodukte, da sind die Preisunterschiede teils wirklich, wirklich gesalzen.
00:57In der Regel spricht man von Aufschlägen von bis zu 20 Prozent.
01:02Ja, wie lässt sich jetzt diese Preisdifferenz erklären?
01:05Also nicht wegdiskutieren kann man, dass Österreich einfach zehnmal kleiner ist als Deutschland.
01:10Das heißt, wir haben in Relation höhere Kosten in der Landwirtschaft, die kleinteiliger ist,
01:14in der Logistik, in der Verarbeitung.
01:16Wir haben natürlich auch höhere Personalkosten. Also im Lebensmittelhandel spricht man von ungefähr plus 30 Prozent.
01:23Ein weiterer wesentlicher Punkt ist, dass in Österreich einfach mehr Wert auf biologische Lebensmittel gelegt wird,
01:30auf regionale Lebensmittel.
01:32Das Zünglein auf der Waage sind natürlich auch die Mehrwertsteuersätze.
01:36Wir haben in Österreich gemeinhin einen Satz von 20 Prozent.
01:38In Deutschland sind es 19 Prozent.
01:40Es gibt auch natürlich einen ermäßigten Satz, der für viele Lebensmittel gilt.
01:43Das ist 10 Prozent, aber auch in Deutschland noch einmal günstiger mit 7 Prozent.
01:48Was sehr oft ausgeblendet wird bei diesen ganzen Preisvergleichen, sind die hohen Rabatte, die wir in Österreich haben.
01:55Also man redet da in etwa von fast 40 Prozent.
01:58In Deutschland macht das 25 Prozent aus.
02:00Diese Rabatte waren zuletzt stark in der Kritik.
02:03Das Sozialministerium vermutet irreführende Preisnachlässe und hat über den Verein für Konsumenteninformationen
02:09Rewe, Spar, Hofer und Lidl verklagt.
02:12Der Handel soll gegen das sogenannte Auszeichnungsgesetz verstoßen haben.
02:16Das gilt seit 2022.
02:19Unternehmen müssen bei Aktionen immer den niedrigsten Preis der vergangenen 30 Tage angeben.
02:25Also ich darf etwa nicht bei Nudeln, die ich um drei Euro anpreise,
02:29mit Aktionen von 50 Prozent werben, wenn es zwei Wochen zuvor noch 2,50 Euro gekostet haben.
02:34Nicht vergessen werden darf, dass wir in Österreich eine sehr hohe Dichte an Supermärkten haben.
02:39Also die Fläche, die Einkaufsfläche pro Einwohner bei uns ist im internationalen Vergleich fast einzigartig hoch.
02:46Das erhöht die Transportwege.
02:48Ich habe generell kleinere Filialen als in Deutschland, also nicht nur in Ballungsräumen.
02:52Und natürlich auch haben die Supermärkte über Jahrzehnte auf Teufel komm raus expandiert.
02:57An jeder Straßenecke, an jedem Kreisverkehr auf der grünen Wiese hat man sich hingesetzt.
03:02Zum Teil auch salopp gesagt dieselbe Filiale einer Marke in Rufweite.
03:07Hauptsache die Konkurrenz kommt nicht hin.
03:10Und das verteuert dieses ganze System natürlich auch.
03:13Ein weiterer Treiber für die Preise, über den stark diskutiert wird, das sind territoriale Marktbeschränkungen.
03:24Das klingt jetzt sehr sperrig.
03:25Einfach erklärt geht es darum, dass globale Markenartikelkonzerne in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Preise verlangen.
03:32Begründet wird das damit, dass es einfach nationale Vorgaben gibt für Rezepturen, für Auszeichnungen, für Verpackungen.
03:38Und natürlich auch unterschiedliche Lohnstückkosten in den Ländern.
03:42Um jetzt Beispiele zu nennen, also Coca-Cola zum Beispiel hat in Österreich große Abfüllanlagen.
03:47Es gibt große Produktionen für Waschmittel von Henkel.
03:50Und da heißt es eben, dass diese Produktionen auch ausgelastet werden müssen,
03:53dass Lebensmittel, die in Österreich produziert werden, auch in Österreich gekauft werden sollen.
03:57Und dass es dem Handel halt nicht erlaubt ist, jetzt über nationale Grenzen hinweg,
04:02jetzt, was weiß ich, in Polen, Portugal günstiger einzukaufen, wo halt auch günstiger produziert wird.
04:07Der EU sind diese künstlichen Barrieren schon länger ein Dorn im Auge.
04:11Sie will diese bis Ende 2026 beseitigen oder zumindest Instrumente schaffen, um sie zu bekämpfen.
04:17Und da wogt jetzt der Kampf zwischen Handelindustrie hin und her.
04:20Da wird auf beiden Seiten intensiv lobbyiert.
04:24Die Industrie argumentiert damit, dass es da halt auch um Wertschöpfung geht in Österreich,
04:28um Arbeitsplätze in Österreich, auch um Lebensmittelversorgung, Lebensmittelsicherheit.
04:33Mittlerweile hat auch ÖVP-Bundeskanzler Christian Stocker angekündigt,
04:38dass er sich auf europäischer Ebene für eine Abschaffung des Österreich-Aufschlags einsetzen wird.
04:44Und mir wurde vermittelt, dass dieser berühmte Österreich-Aufschlag,
04:47also die Lieferbeschränkung für kleine Länder, ein wesentliches Thema dieser hohen Preise ist.
04:52Ich werde daher alles tun auf europäischer Ebene, dass das sehr bald verboten wird.
04:56Ja, und es ist spannend, wie das ausgeht. Also Ausgang ist offen.
04:59Ich glaube, dass da was kommen wird und muss.
05:02Die Frage ist halt, in welcher Form und mit welchen Instrumenten.
05:08Österreich hat auch eine einzigartig hohe Marktkonzentration im Handel.
05:12Also vier große Handelsketten, das ist Rewe, das ist Spar, das ist Hofer und Lidl,
05:17haben fast 90 Prozent des Lebensmittelhandels in ihrer Hand.
05:21Das ist fast einzigartig in Europa.
05:23Und diese Marktmacht spiegelt sich auch nicht nur im Handel wider, sondern auch in der Produktion.
05:28Als Gegengewicht zu großen globalen Markenartikelkonzernen hat der Handel begonnen,
05:33auch selber immer stärker zu produzieren.
05:35Das Ganze nennt sich vertikale Integration, ist auch in der Landwirtschaft stark,
05:38wo man Vertragspartner hat, die zum Teil völlig von einer Handelskette abhängen.
05:42Das konzentriert natürlich auch den Markt.
05:44Und die Frage ist jetzt, wie stark spielt das auf die Preise hinein?
05:47Die Bundeswettbewerbsbehörde hat vor einigen Jahren da eine sehr umfassende Branchenuntersuchung gemacht.
05:53Sie kam zum Schluss, dass der Einzelhandel im untersuchten Zeitraum an den höheren Preisen nicht besser verdient hat.
06:00Sie kam auch zum Schluss, dass es zwischen den Handelsketten, dass es da keine Preisabsprachen gab.
06:04Was sehr wohl Anlass zur Sorge gab, das sind massive, unfaire Handelspraktiken zu Lasten kleiner Lieferanten.
06:13Da gibt es viele Spielarten.
06:15Das führt dazu, dass die Vielfalt an kleinen Nahversorgern unter den Lieferanten, unter den Produzenten bedroht ist.
06:22Salopp gesagt bestimmen vier große Supermarktkonzerne in Österreich,
06:26also vier große Einkaufsmanager, was auf unseren Tisch kommt, was in den Regalen steht.
06:32Und diese haben natürlich Interesse daran, möglichst auch ihre eigenen Marken zu fördern.
06:37Und bei diesen Eigenmarken sind viele Lieferanten quasi austauschbar.
06:44Was kann die Regierung, was kann die Politik jetzt tun, um diese Preisschere zwischen Deutschland und Österreich zu schließen?
06:52Zuletzt ist immer wieder sehr stark über direkte Preiseingriffe diskutiert worden.
06:56Ein Beispiel dafür wäre eine Senkung der Mehrwertsteuer.
06:59Das muss man sich erst einmal leisten können. Bei unserem angespannten Budget ist das sicherlich nicht drinnen.
07:04Es werden ohne Zweifel ein paar harte Jahre. Jeder und jede wird die Budgetsanierung spüren.
07:11Senkung der Mehrwertsteuer heißt auch, dass das nur zeitlich befristet sein kann.
07:15Was passiert, wenn das Ganze wieder ausgesetzt wird?
07:17Wie man aus der Vergangenheit weiß, schnalzen dann die Preise erst recht nach oben.
07:21Und keiner garantiert, dass diese Supermärkte auch diese Preisdifferenz weitergeben an den Konsumenten.
07:26Ein Instrument, das immer wieder aus der Zauberkiste geholt wird, das sind Preisdeckel,
07:32also wo ich die Preise von Lebensmitteln für ausgewählte Lebensmittel künstlich deckele.
07:37Auch das geht nach hinten los sehr oft.
07:39Ungarn etwa weiß ein Lied davon zu singen.
07:41Das Risiko ist einfach sehr groß, dass dann Supermärkte die Preise anderer Lebensmittel erhöhen
07:45und dass es natürlich auch zu einer künstlichen Verknappung kommt.
07:48Was Frankreich gemacht hat und was ich sicherlich auch in Österreich anbieten könnte,
07:54das sind klare verpflichtende Hinweise bei Produkten im Regal, wenn sich deren Verpackungsinhalt reduziert hat.
08:01Also Stichwort Shrinkflation.
08:03Kurzum, wenn ein Produzent weniger Lebensmittel und mehr Luft verkauft.
08:08Das wird wahrscheinlich auch in Österreich kommen, nach französischem Vorbild,
08:12auch wenn Handel und Industrie, CETA und Mordio schreien werden,
08:16weil es einfach mit einem höheren Aufwand verbunden ist.
08:19In vieler Munde ist der Ruf nach einer höheren Transparenz bei den Preisen, also absolut zu Recht.
08:25Wir haben da diese Wertschöpfungskette, das beginnt bei den Futtermitteln, Landwirt, Verarbeiter, Großhändler, Einzelhändler.
08:32Aber keiner weiß, wo in dieser ganzen Kette, wann genau mit welcher Begründung die Preise erhöht werden.
08:38Das ist eigentlich eine Blackbox.
08:40Und Frankreich lebt vor, dass man da durchaus die Latte höher setzen kann.
08:44Die machen das schon seit zehn Jahren.
08:45Die haben da eine sehr detaillierte Transparenzdatenbank.
08:48Und das würde natürlich auch für Österreich Sinn machen.
08:51Was man sich nicht davon erwarten darf oder man darf sich nicht der Illusion hingeben,
08:55dass das jetzt per se automatisch die Preise günstiger macht.
08:58Man hat dadurch mehr Einblick in die Preise, weiß, wo, was, wann passiert.
09:02Aber günstiger einkaufen werden wir deswegen kurzfristig nicht.
09:08Was jeden freisteht, sind natürlich Preisvergleiche.
09:11Ich kann auf Knopfdruck online ablesen, wer welche Preise hat.
09:14Es gibt überall große Online-Supermärkte auch.
09:17Nicht ganz außer Acht lassen muss man auch das Thema Lebensmittelverschwendung.
09:21Also das zieht sich immer noch durch Industrie, durch Handel, aber auch durch die Haushalte,
09:25weil halt Produkte einer gewissen Norm entsprechen müssen, einem gewissen Schönheitsideal verfolgen
09:30und weil Konsumenten halt nach wie vor sehr achtlos damit umgehen.
09:33Also überspitzt gesagt, für manche Haushalte sind Lebensmittel offenbar immer noch zu billig.
09:38Sparen lässt sich auch ganz gut, indem man zu weniger hochverarbeiteten Lebensmittel greift,
09:44zu weniger Fertigprodukten.
09:45Selbst gekochtes ist nachweislich halt immer noch günstiger,
09:48als wenn ich mir jetzt Produkte servieren lasse von einem großen Markenartikelkonzern,
09:53der man das in schöner Verpackung in kleinen Portionen liefert.
09:57Auch weniger Fleischkonsum macht Ernährung günstiger.
10:01Ich spreche da immer wieder auch mit Großküchen, mit Gemeinschaftsverpflegern,
10:05die einem ganz genau vorrechnen, was sie da einsparen können,
10:08indem sie mehr pflanzliche Ernährung einbauen und auf Fleisch zurückfahren beim täglichen Menüplan.
10:14Für armutsgefährdete Menschen, für Familien mit vielen Kindern und schmalen Einkommen,
10:20da klingen diese Rezepte halt schnell einmal zynisch.
10:22Klar, es gibt Sozialmärkte, aber auch diese Sozialmärkte sind für manche noch zu teuer
10:28und natürlich auch mit einem sozialen Stigma behaftet.
10:32Was es hier braucht, sind treffsichere Instrumente der Sozialpolitik.
10:37Frankreich zum Beispiel hat sich Lebensmittelgutscheine überlegt.
10:40Darüber kann man jetzt diskutieren, ob das in Österreich Sinn macht.
10:42Unsere Sozialsysteme sind auch nicht vergleichbar, aber andenken kann man so etwas sehr wohl.
10:47Die Frage ist, werden Lebensmittel über kurz oder lang wieder günstiger?
10:51Also ich bin da sehr, sehr skeptisch.
10:54Es gibt viele globale Entwicklungen, die da einfach dafür sprechen, dass Lebensmittel teurer werden.
10:59Denn weltweit können sich mehr Menschen, immer mehr Menschen, gute, hochwertige Lebensmittel leisten.
11:06Das macht diese knapper und naturgemäß auch teurer.
11:09Ja, und wir brauchen auch nur bei uns selber schauen.
11:11Also wir stecken alle die Latte höher.
11:14Wir wollen höhere Standards in der Landwirtschaft etwa.
11:16Weniger Massenproduktion, weniger Tierleid, weniger Pestizide.
11:20Das alles gibt es nicht umsonst.
11:22Das alles wird unsere Lebensmittel auch verteuern.
11:29Das alles gibt es nicht umsonst.
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