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  • vor 9 Stunden
Vier Jahre Krieg haben nicht nur in der Ukraine verheerende Spuren hinterlassen, die Invasion hat auch Russland schwer geschädigt. Die Staatsreserven gehen zur Neige, die vielen Toten und Verletzten fordern ihren Zoll, und die Ölindustrie ist angeschlagen. Alles europäisches Wunschdenken, würde Wladimir Putin vielleicht sagen.
Ist das so oder steht Russlands Wirtschaft vor dem Kollaps? Das besprechen wir mit dem Wirtschaftsforscher und Russlandexperten Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Mehr zum Thema und die neuesten Updates auf https://www.derstandard.at.

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Transkript
00:00Vier Jahre Krieg haben nicht nur in der Ukraine verheerende Spuren hinterlassen,
00:04die Invasion hat auch Russland schwer geschädigt.
00:07Die Staatsreserven gehen zur Neige, die vielen Toten und Verletzten fordern ihren Zoll
00:12und auch die so wichtige Ölindustrie ist angeschlagen.
00:16Alles europäisches Wunschdenken würde Wladimir Putin vielleicht sagen.
00:21Ist das so oder steht Russlands Wirtschaft vor einem Kollaps?
00:25Ich bin Schold Wilhelm, das ist Thema des Tages, der Nachrichten-Podcast vom Standard.
00:30Herzlich Willkommen, Janis Kluge, in unserem Podcast.
00:38Hallo, ich freue mich dabei zu sein.
00:40Herr Kluge, Sie sind Wirtschaftsforscher und Russland-Experte.
00:45Wenn ich Sie vor vier Jahren, bevor dieser Krieg angefangen hat, gefragt hätte,
00:50was muss ich wissen über Russlands politisches und wirtschaftliches System, um es zu verstehen?
00:56Was hätten Sie mir damals gesagt?
00:57Eine sehr gute Frage und auch eine gar nicht so leicht zu beantwortende Frage,
01:01weil natürlich die letzten vier Jahre auch ein großer Lernprozess waren für alle, die Russland beobachten.
01:08Russland hat sich sehr stark verändert und vieles von dem, was seit 2021, also vor vier Jahren passiert ist, war auch überraschend.
01:15Das kann man nicht anders sagen.
01:17Wenn Sie mich jetzt vor vier Jahren gefragt hätten, dann hätte ich gesagt, dass, also was jetzt das politische System betrifft oder die Außenpolitik,
01:27dass Russland zwar jetzt diese Eskalation androht, also es gab damals ja diese Truppenmassierung an der ukrainischen Grenze schon,
01:36aber dass letztlich Putin diesen Schritt wahrscheinlich eher nicht gehen würde, einzumarschieren,
01:42weil es einfach viel zu massive Auswirkungen hätte für das eigene Land,
01:46weil es viel zu, die russische Innen- und Außenpolitik viel zu stark verändern würde
01:51und wir Putin eigentlich als jemand kennen, der zwar ab und zu hohe Risiken eingeht, aber dann auch wieder sehr risikoscheu ist.
01:58Also es gab die Krim-Annexion, aber in den Jahren danach gab es von russischer Seite eher so den Versuch,
02:03wieder ein bisschen zu konsolidieren.
02:05Und das war vielleicht etwas trügerisch und ich persönlich habe damals die Invasion,
02:12also in der Form, wie sie passiert ist, erstmal für eher unwahrscheinlich gehalten.
02:18Und was die russische Wirtschaft betrifft, gab es auch da natürlich eine Lernkurve auf jeden Fall.
02:26Damals wäre vielleicht also eine Feststellung gewesen, dass das eben für Russland extrem kostspielig wird.
02:34Ich denke, dass es das auch ist, aber die Erwartung war doch, dass es sich anders auswirkt,
02:38also dass diese massiven Sanktionen, die auch damals schon angedroht wurden,
02:42dass sie schon zu einem dauerhaften Kollaps oder einem viel größeren Problem in der Wirtschaft führen würden.
02:49Und diese Annahme, man kann das ja auch nachvollziehen, warum man das damals gesagt hat,
02:53basierte darauf, dass Russland eben sehr abhängig ist von westlichen Technologien.
02:59Und das sind sie weiterhin.
03:00Was die Fehlernahme war an der Stelle, war einfach, dass wir dachten,
03:05wir könnten diese Technologien Russland wegnehmen.
03:07Und das hat sich als ausgesprochen schwierig erwiesen,
03:09weil eben Russland weiterhin alles Mögliche auf allen möglichen Wegen importieren kann,
03:14weiterhin praktisch westliche Technologien nutzen kann
03:17und das Instrument der Sanktionen an der Stelle auch an gewisse Grenzen stößt.
03:21Das vielleicht erstmal ganz grob.
03:23Es war natürlich vieles einfach ganz schwer abzusehen.
03:26Und seitdem ist einfach unglaublich viel passiert.
03:28Ich glaube, um besser verstehen zu können,
03:31warum die Sanktionen und diversen Maßnahmen gegen Russland nicht funktioniert haben,
03:35wie muss man sich dieses Wirtschaftssystem vorstellen?
03:38Ja, also ich betone immer gerne zuerst, dass es sich eigentlich primär um eine Marktwirtschaft handelt.
03:43Es ist eine spezielle Marktwirtschaft mit einigen Einschränkungen.
03:47Einige Bereiche der Wirtschaft sind stärker verstaatlich und staatlich reguliert.
03:52Aber im Kern bestimmen doch Preise und private Unternehmen
03:58und auch das Motiv der Gewinnmaximierung sehr, sehr viel in dieser Wirtschaft.
04:03Und das ist natürlich, gibt der Wirtschaft eine gewisse Resilienz.
04:07Also es ist eine Privatwirtschaft, in der der Staat eine dominante Rolle spielt,
04:11zumindest in den meisten Bereichen.
04:14Besonders dominant ist der Staat natürlich, wenn es um strategische Sektoren geht.
04:19Strategische Sektoren wären dann die Energieindustrie, aber auch die Rüstungsindustrie natürlich.
04:24Da sind es vor allem staatliche Konzerne und auch das Bankensystem ist größtenteils
04:29von staatlichen, in staatlicher Hand oder unter staatlicher Kontrolle.
04:33Und das heißt, da kann man auch durchaus sagen, dass die Personen, die diese Unternehmen führen,
04:41dass das alles Personen sind, mit denen Putin schon seit sehr vielen Jahren zusammenarbeitet,
04:48die auch aus seinem persönlichen Umfeld kommen, mit denen er biografische Überschneidung hat.
04:53Also diese Staatswirtschaft ist sehr, sehr stark von Putins persönlichem Umfeld geprägt.
04:58Und natürlich gibt es da alle möglichen Formen von Korruption.
05:04Das ist eher Teil des Systems, als jetzt sozusagen die Ausnahme.
05:08Im Kern operieren diese Unternehmen weiter in einem Marktumfeld.
05:13Und es wird eben geschlossen, dass das, weil es eine Autokratie ist,
05:16dass eben auch die Wirtschaft so autokratisch organisiert ist.
05:18Und das stimmt eben in der Gänze so nicht.
05:21Also das heißt, es ist immer noch größtenteils Privatwirtschaft,
05:25die aber einen sehr dominanten staatlichen Sektor hat, vor allem in der Energiebereich.
05:30Wie hat denn der Krieg gegen die Ukraine die Wirtschaft in Russland verändert?
05:36Diese Transformation zur Kriegswirtschaft wurde mehrfach beschrieben.
05:40Aber wie hat sich das auch zum Beispiel auf eben diese institutionalisierte Kleptokratie oder Korruption auch ausgewirkt?
05:48Ich glaube, dass sich an der Stelle, an diesem Element, der Kleptokratie eigentlich gar nicht so viel verändert hat,
05:55dass es eben vorher auch schon bestanden hat.
05:57Das heißt, was wir zum Beispiel gesehen haben, ist, dass natürlich ausländische Unternehmen sich massiv zurückgezogen haben aus Russland.
06:06Die meisten westlichen Investoren haben ihre Tochtergesellschaften abgegeben, verkauft oder wurden auch enteignet.
06:14Und auf diesen Rückzug gab es dann eben Personen in Russland, die davon profitiert haben,
06:22die diese Unternehmen sehr günstig kaufen konnten.
06:25Und da sieht man schon wieder, dass dieses Muster der Kleptokratie eben an der Stelle auch sich dann wieder selbst erneuert hat
06:33und wieder fortgesetzt wird, auch unter diesen neuen Bedingungen.
06:36Allgemein würde ich Russlands Wirtschaft weiterhin nicht als Kriegswirtschaft bezeichnen.
06:39Das ist einfach, dafür sind die Veränderungen noch nicht groß genug.
06:44Bei einer Kriegswirtschaft denkt man dann vielleicht an die Wirtschaftssysteme in Europa während des Zweiten Weltkriegs,
06:50wo wirklich ein Großteil der Industrie für den Krieg direkt produzieren muss.
06:54Und in Russland ist es immer noch eben begrenzter.
06:58Klar, die Militärausgaben sind sehr hoch.
07:00So acht bis zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind fürs Militär.
07:04Und der Krieg ist auf dem Arbeitsmarkt sehr deutlich zu spüren.
07:08Es werden natürlich unglaubliche Menschen für den Krieg rekrutiert, aber auch für die Berüstungsindustrie.
07:14Trotzdem ist es wahrscheinlich eher so eine Wirtschaft, die langsam für den Krieg mobilisiert wird,
07:20aber eben noch nicht in der Kriegswirtschaft angekommen ist.
07:23Das heißt, dieser Krieg fordert noch nicht, dass alle Ressourcen auf diesen Krieg geworfen werden,
07:30dass alles dafür eingesetzt wird.
07:31Genau, in dieser Absolutheit ist das noch nicht der Fall.
07:36Es ist natürlich immer dominanter.
07:39Also die Militärausgaben nehmen eine immer größere Rolle im Haushalt ein.
07:42Und auch andere Belastungen werden immer deutlicher spürbar.
07:47Was zum Beispiel sehr klar auf die Kriegsausgaben zurückzuführen ist,
07:51ist die Inflation in den letzten Jahren, die einfach stark angestiegen ist.
07:56Und ja, die Zentralbank in Russland aktuell dazu zwingt, auch extrem hohe Zinsen einzuführen und damit auch die Wirtschaft abzuwirken.
08:06Das heißt, man merkt schon, der Krieg und die Folgen davon entwickeln sich da zu einer Belastung.
08:12Aber insgesamt ist es eben weiterhin möglich für viele Menschen in vielen Berufen und Bereichen den Krieg auch zu ignorieren.
08:21Das gilt, glaube ich, für einen Großteil der russischen Gesellschaft, dass dieser Krieg einfach ausgeblendet wird
08:28und weder wirklich besprochen noch, dass das wirklich das Leben unüberrangiert.
08:35Es gibt natürlich ganz viele, wie gesagt, Menschen, die rekrutiert werden für den Krieg.
08:39Es gibt unglaublich viele Todesopfer, also zwischen 200.000 und 300.000 Russen sind in diesem Krieg gefallen.
08:45Entsprechend viele Verwundete, Invaliden und so weiter.
08:50Aber die sind eben meistens eher in den kleineren Städten und in den Dörfern
08:53und sind vielleicht jetzt auch im Stadtbild in Moskau oder so noch nicht wirklich so sehr zu sehen.
08:58Also insofern der noch, würde ich sagen, diese Auswirkungen werden immer größer und stärker.
09:07Aber wenn man möchte, kann man diesen Krieg auch weiterhin noch ignorieren in Russland.
09:14Wenn Russland Zahlen zur Wirtschaft herausgibt, zum Wirtschaftswachstum, zum jährlichen,
09:21dann ist ein Reflex in Europa immer, dass man dem mal nicht vertraut.
09:25Was sagen Sie, wie groß ist der Anteil der Kriegsausgaben im Wachstum?
09:33Also wie sehr hängt mittlerweile auch das Wirtschaftswachstum und vielleicht auch die steigenden Gehälter der Bevölkerung davon ab,
09:44dass es einen Krieg gibt oder nicht?
09:45Also aktuell gibt es keinen, also eigentlich kein Wirtschaftswachstum mehr.
09:52Aktuell stagniert die Wirtschaft, aber es gab in den letzten zwei Jahren,
09:54also vor allen Dingen Jahren 2023 und 2024, ein starkes Wachstum von ungefähr vier Prozent jedes Jahr.
10:01Und das ist fast vollständig auf die Kriegsausgaben zurückzuführen.
10:05Zum Teil war das eine Erholungsbewegung nach dem ersten Sanktionsschock,
10:10der schon auch zu einem kurzfristigen Einbruch geführt hat.
10:13Aber größtenteils waren das eben die hohen Militärausgaben.
10:16Man muss sich das wie ein gigantisches Konjunkturprogramm vorstellen,
10:20wo der Staat plötzlich sehr, sehr viele Menschen einstellt, sehr, sehr viel Nachfrage schafft.
10:24Und dadurch kommt die Wirtschaft in Gang.
10:26Sie hat aber dadurch auch, ist praktisch in die Überhitzung gegangen.
10:32Das heißt, der Staat hat zu viel Nachfrage geschafft und das hat dann eben diese Inflation mit bewirkt.
10:37Und jetzt kommt praktisch der Kater danach.
10:40Also das ist dann wie ein Rausch dieser Zustand der Wirtschaft in Russland in den letzten zwei Jahren.
10:45Jetzt zeigt sich da eben ein gewisser Preis.
10:47Aber dieser Rausch, also diese Entwicklung war tatsächlich eigentlich fast ausschließlich von diesen Kriegsausgaben getrieben.
10:55Es gibt natürlich auch für Russland Berechnungen, wie viel die Wirtschaft normalerweise wachsen sollte.
11:02So langfristig gibt es ein sogenanntes Potenzialwachstum, das so bei 1 oder 1,5 Prozent liegt.
11:10Unter Sanktionen könnte das auch nochmal darunter liegen.
11:12Aber wenn die Wirtschaft mit 4 Prozent pro Jahr wächst, dann sieht man schon,
11:16dass es da offenbar ein starkes Konjunkturprogramm gibt, was da wirkt
11:20und dass das kein langfristig durchhaltbares Tempo ist.
11:23Die Wirtschaft stagniert, haben Sie schon gesagt.
11:27Interessant ist ja, dass, wie Sie auch schon angesprochen haben,
11:30die Sanktionen, die westlichen gegen Russland,
11:33bisher Putin nicht davon abbringen konnten, diesen Krieg zu führen.
11:37Ich nehme mal an, das ist darauf zurückzuführen, dass die Kriegskasse so gut gefüllt war.
11:42Ja, diese Prozesse, also dass die wirtschaftlichen Prozesse für die Kriegsführung zu einem Problem werden,
11:50das ist eher langfristig.
11:54Die wirtschaftlichen Probleme zeigen sich ja auch jetzt gerade erst wirklich deutlich.
11:59Ich meine, wir hatten am Anfang der Vollinvasion eben, ja wie erwähnt,
12:03diesen kurzen Crash, der durch die Sanktionen hervorgerufen wurde,
12:06von dem sich Russland aber recht schnell erholt hat.
12:08Und danach gab es eben dieses Strohfeuer, diesen Rausch, der aufgrund der hohen Militärausgaben.
12:13Und erst jetzt zeigt sich eigentlich schon im vierten Kriegsjahr aktuell,
12:18zeigt sich eigentlich der Preis, den das auch wirtschaftlich hat.
12:22Und jetzt erst wird das auch zu einem Problem, was sich im Haushalt beispielsweise niederschlägt.
12:28In den letzten Jahren konnte Russland eben auch noch auf einen nationalen Wohlfahrtsfonds zurückgreifen,
12:34also einen Staatsfonds, der inzwischen fast erschöpft ist.
12:38Und ja, es gab insgesamt, wie Sie erwähnt haben, der Haushalt war gut aufgestellt 2021, 2022.
12:46Es gab ein geringes Defizit, geringe Staatsverschuldung.
12:50Inzwischen steigt eben die Staatsverschuldung recht schnell und das Defizit ist auch hoch.
12:56Man kann das immer nicht so gut mit Defiziten in Europa beispielsweise vergleichen.
13:00Russland ist dafür immer noch sehr, sehr niedrig, also mit ungefähr 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
13:06Aber Russland zahlt extrem hohe Zinsen auf diese Schulden.
13:09Also das geht bis 15 Prozent.
13:11Das ist das, was Russland aktuell zahlt für Neuverschuldung.
13:14Und dann ist natürlich auch, sind schon 20, 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts eine unglaubliche Belastung für den Haushalt.
13:21Das heißt, Russland zahlt für seine Staatsverschuldung aktuell deutlich mehr Zinsen,
13:26als Deutschland für seine Staatsverschuldung zahlt, obwohl wir natürlich viel mehr Schulden haben.
13:30Aber auch, weil die Zinsen bei uns niedriger sind.
13:34Wie wirkt sich das auf die normalen Bürger aus? Sie haben die steigenden Preise schon erwähnt.
13:38Ja, insgesamt, vielleicht erst mal ein intuitiv überraschend oder nicht nachvollziehbar paradox,
13:48hat die russische Bevölkerung sehr profitiert, zumindest gewisse Teile der russischen Bevölkerung,
13:53von dem, was in den letzten Jahren passiert ist.
13:55Diese Ausgaben für den Krieg, das sind ja dann Gehälter, das sind Anwerbeboni,
14:00das sind auch Entschädigungen für die Familien von gefallenen Soldaten.
14:05Das ist Geld, das vom Staat praktisch dann auch in eher arme Haushalte fließt.
14:10Das heißt, das sind Haushalte, die vorher nichts haben und dann bekommen sie eben Geld,
14:13weil vielleicht der Familienvater im Krieg gefallen ist oder weil er eben dort in der Ukraine kämpft
14:21und dann eben ein Gehalt kriegt.
14:23Und das hat dafür gesorgt, dass gerade so in den Gehaltsstufen,
14:28also bei den Menschen, die sehr wenig wirtschaftliche Perspektiven haben,
14:31sehr wenig verdienen, dass da plötzlich viel Geld ist.
14:33Und das sorgt natürlich dafür, dass die Gehälter insgesamt ansteigen
14:38und auch beispielsweise Taxifahrer beispielsweise plötzlich viel schwerer zu finden waren,
14:45weil die beispielsweise an die Front gehen oder weil Lkw-Fahrer kaum zu finden waren,
14:50weil die in der Armee arbeiten, steigen dann die Transportkosten.
14:53Das heißt, da merkt man, wie es das überall auswirkt.
14:56Aber es wirkt sich eben auch durch die Knappheit an Arbeitskräften,
15:00die kriegsbedingte Knappheit an Arbeitskräften wirkt sich jetzt eben auch
15:04in Form von steigenden Gehältern erstmal aus.
15:06Und das hat dazu geführt, dass eben viele Familien erstmal im Durchschnitt
15:13jedenfalls mehr Geld hatten.
15:14Sie hatten sicherlich auch dann diese Schicksalsschläge,
15:16das ist eben sehr schrecklich, dass dann der Familienvater oder Sohn
15:22oder jemand aus der Familie vielleicht stirbt oder verletzt, verwundet, zurückkommt.
15:26Und da kann man natürlich nicht davon sprechen, dass sie profitieren.
15:29Aber wirtschaftlich gesehen ist es eben erstmal sehr viel Geld gewesen,
15:33was in eine bestimmte Bevölkerungsschicht geflossen ist.
15:36Und dann gibt es natürlich die Rüstungsindustrie,
15:39die zu Sowjetzeiten sehr groß war und jetzt in den Dekaden danach sehr gelitten hat.
15:45Auch da gab es eben so ein Revival.
15:48Und die Industrieregionen haben auch sehr stark von diesen Aufträgen
15:51für die Rüstung profitiert.
15:52Bisher konnte Putin seinen Angriffskrieg auch dadurch finanzieren,
15:57dass er vor allem Öl exportiert hat.
16:00Russland ist ein rohstoffreiches Land.
16:03Seit einigen Monaten fährt nun die Ukraine gezielt Angriffe gegen diese Ölindustrie.
16:10Könnte das zu Achillesferse Russlands werden?
16:13Könnte das dazu führen, dass Russland diesen Krieg doch beenden muss?
16:17Aktuell sind wir noch nicht in einer Position oder noch nicht in einer Situation,
16:23wo die ukrainischen Angriffe gegen russische Raffinerien ein Kriegsender zwingen könnten.
16:28Russland hat das Problem, dass es zwar sehr viel Öl verarbeitet,
16:32aber bei bestimmten Produkten, vor allem bei Benzin,
16:36sehr wenig Puffer hat in der Kapazität.
16:38Das heißt, es verbraucht ungefähr genauso viel Öl, wie es herstellt.
16:41Bei Diesel wird sehr viel exportiert, aber bei Benzin eben nicht.
16:44Und das bedeutet, dass auch schon das Abschalten von einem gewissen Anteil
16:49der Raffineriekapazität zu Knappheiten führen kann,
16:52die man dann gar nicht so leicht lösen kann
16:53und die die Menschen im Alltag sofort spüren.
16:56Weil jeder, der tanken möchte, sieht, muss in Schlangen stehen.
17:00Es gibt vielleicht begrenzte Abgabemengen oder steigende Preise.
17:05Und das hat einige Regionen in den letzten Wochen schon betroffen.
17:09Aber trotzdem ist es in diesem Jahr noch kein fundamentales Problem für das Regime.
17:15Das könnte aber im nächsten Jahr dazu werden, weil wir auch gesehen haben,
17:19dass die Ukrainer bei ihren Angriffen immer stärker geworden sind.
17:23Das heißt, sie haben neue Waffen, sie haben neue Methoden,
17:26die Raffinerien anzugreifen.
17:27Und sie lassen sich eben sehr, also diese Anlagen lassen sich sehr,
17:30sehr schwer schützen, sind auch weit verbreitet, verteilt im Land.
17:34Da müsste man überall praktisch dann eine Luftverteidigung aufbauen.
17:41Und das ist wirklich schwierig.
17:43Deshalb werden die weiter verwundbar bleiben.
17:45Und wenn die Ukrainer ihre Angriffe weiter verstärken,
17:48dann kann es wirklich zu Knappheiten kommen.
17:51Russland hat jetzt Zeit, sich vorzubereiten auf die nächsten Angriffe.
17:55Aber es ist auf jeden Fall ein Thema, dass die Ukraine eben so viel besser darin geworden ist,
18:01auf die Distanz eben zielgenau Ziele anzugreifen wie Raffinerien.
18:05Und das wird definitiv ein Faktor sein, auch im nächsten Jahr.
18:09Vor dem Krieg hat Europa viel Rohstoffe von Russland abgenommen.
18:15Jetzt hat man sich Richtung Osten gewandt zu China und anderen Ländern.
18:19Können Sie beschreiben, wie sich die Abhängigkeiten Russlands von anderen Ländern verändert haben durch den Krieg?
18:28Russland war eigentlich stärker vom Westen abhängig als von anderen Ländern,
18:33als von China vor Beginn der Vollinvasion.
18:36Also rein wirtschaftlich.
18:37Und das ist auch nicht verwunderlich, weil Russland eben größtenteils ein europäisches Land ist.
18:41Also 80 Prozent der Bevölkerung leben ja westlich des Urals.
18:45Und es ist auch eigentlich so, dass immer mehr aus dem Landesinnern in den Westen des Landes gezogen sind.
18:51Das heißt, geografisch leben die meisten Russen einfach in Europa und nicht in Asien.
18:57Auch wenn Russland natürlich über Sibirien auch eine gemeinsame Grenze mit China hat,
19:04die 4000 Kilometer lang ist, ist das eben extrem dünn besiedeltes Gebiet.
19:07Und dadurch war der Handel, waren die Handelsbeziehungen eben vor allen Dingen mit den Europäern stark ausgeprägt.
19:14Natürlich vor allen Dingen bei den Energieexporten.
19:17Und es gab tatsächlich eine Umorientierung beim Öl natürlich.
19:24Die Ölexporte gehen jetzt größtenteils in drei Staaten, also vor allen Dingen Indien und China.
19:28Zum Teil etwas noch in die Türkei.
19:31Und das ist für Russland natürlich schwierig oder schwieriger, weil es nur noch sehr wenig Abnehmer gibt für eine sehr große Menge Öl.
19:39Und wenn jetzt beispielsweise einer davon wegfallen würde, also wenn die Inder jetzt sagen,
19:44wir wollen nicht, dass Trump uns unter Druck setzt und hören es auf, russisches Öl zu importieren,
19:48dann wird es schon ganz, ganz schwierig für diese großen Mengen neuen Kunden zu finden.
19:52Und insofern ist Russland viel stärker abhängig geworden von einer geringen Zahl von Staaten,
19:57eben vor allen Dingen von Indien und noch viel stärker von China.
20:01Beim Gas ist das alles ein bisschen anders, weil der Aufbau von Infrastruktur so schwierig ist
20:06und Russland einfach keine Pipeline-Kapazität hat, um das Gas aus Europa,
20:11das ursprünglich noch in die EU geflossen ist, nach China umzuleiten.
20:14Das geht nicht. Das bleibt also im Boden aktuell.
20:18Und deshalb war da die Umstellung nicht möglich.
20:21Es gibt da Pläne für Pipelines, aber die werden wahrscheinlich noch einige Jahre brauchen,
20:25wenn sie überhaupt gebaut werden, bis sie dann dieses Gas vielleicht irgendwo mal nach China transportieren können.
20:31Und insofern, ja, Russlands Abhängigkeit inzwischen ist natürlich viel, viel stärker von China,
20:39auch von einigen anderen asiatischen Staaten, zumindest kommen da die russischen Importe her.
20:45Aber gleichzeitig besteht auch indirekt immer noch eine Abhängigkeit von westlichen Technologien.
20:52Also wenn wir jetzt schauen, was steckt eigentlich in den russischen Waffen drin an Computerchips beispielsweise,
20:57sind das westliche Konzerne, die die entwickelt haben, sind es westliche Unternehmen,
21:02die die dann oft in Asien produzieren lassen und von dort kommen sie nach Russland beispielsweise.
21:06Also ohne westliche Technik würde auch der russische Krieg überhaupt nicht funktionieren.
21:11Das ist so ein bisschen auch das Paradoxe in der russischen Situation.
21:16Auch wenn China jetzt das Hauptpartnerland ist, ist viel der Dinge, die man aus China bekommt,
21:21eben letztlich stehen dahinter westliche Technik, die eben dann auf Umwegen kommt.
21:27Lässt sich das nicht unterbinden?
21:28Es ist tatsächlich sehr schwierig, weil diese Nachbarstaaten Russlands,
21:36wenn sie die Sanktionen nicht direkt ablehnen und China lehnt die Sanktionen natürlich eigentlich ab,
21:43dann doch zumindest tun sie nicht viel dafür, dass sie durchgesetzt werden können.
21:47Und wenn wir über Computerchips sprechen, dann sind das natürlich einfach kleine, leichte Gegenstände,
21:58die man auch zur Not sehr leicht schmuggeln könnte.
22:01Es sind auch teilweise einfach sehr generische Chips, die fast wie Rohstoffe gehandelt werden
22:06und wo man auch nicht nachvollziehen kann, von wo aus, also von der Fabrik aus, die eigentlich hingelangen.
22:13Und dann können die innerhalb Chinas mehrfach die Hände wechseln
22:17und dann wandern sie irgendwann über die Grenzen nach Russland,
22:20werden vielleicht nicht direkt an die Militärindustrie verkauft, sondern an ein anderes Unternehmen
22:24und das Unternehmen verkauft es dann an die Militärindustrie.
22:27Also das ist ein ganz schwieriger Prozess.
22:29Die EU versucht das natürlich dann immer wieder zu unterbinden,
22:32indem man die Händler, die diese Umgehung organisieren, sanktioniert.
22:36Aber das ist, ja, das ist eine Daueraufgabe.
22:41Das ist nicht zwecklos, das wirkt auch, aber es wird immer neue Umgehungswege finden.
22:47Da muss man immer wieder neu dagegen vorgehen.
22:50Dem kann man leider nicht entgehen und trotzdem wird es nie sozusagen ganz hundertprozentig dicht sein.
22:55So wie Sie vorhin beschrieben haben, wie sich die Exporte Russlands verändert haben in Richtung China,
23:01habe ich mir auch gedacht, bringt das Russland nicht nur in eine Abhängigkeit,
23:08sondern sozusagen in eine Situation, wo man sich erpressbar macht durch China.
23:13China weiß, Russland kann sein Öl nicht mehr nach Europa bringen.
23:18Man bleibt als einer der wenigen Käufer von diesem Rohöl oder von den Erzeugnissen über.
23:23Indien könnte vielleicht auch sanktioniert werden, fällt deswegen weg.
23:28Hat China dadurch die Möglichkeit, Russland zu erpressen, auch was die Preise betrifft?
23:33Klar, China hat die Möglichkeit und zum gewissen Teil passiert das natürlich auch.
23:37Also beim Öl sind das noch eher kleinere Rabatte, die Russland eben einräumen muss, um das in China verkaufen zu können.
23:48Beim Gas gibt es eben sehr harte Verhandlungen darüber, zu welchem Preis Russland in Zukunft Gas nach China verkaufen könnte.
23:55Und das war dann auch einer der wesentlichen Gründe, warum es aktuell noch keine Pipeline gibt,
24:00weil man sich da eben nicht einigt, weil die Chinesen eben sehr hart verhandeln.
24:04Gleichzeitig muss man aber auch sehen, dass China nicht daran interessiert ist, dass Russland zusammenbricht.
24:10Das heißt, China möchte nicht noch zusätzlichen Druck auf Russland ausüben,
24:15weil aus der Sicht Chinas eben Russland ja der wichtigste strategische Partner in der Welt ist
24:22und sehr, sehr viel von dieser Partnerschaft auch an Putin hängt.
24:26Das heißt, diese Verbindung zwischen Xi Jinping und Putin ist eben eine sehr enge und auch eine wechselseitige.
24:32Und Russland und China sind da gewissermaßen auch eine Schicksalsgemeinschaft und deshalb will China jetzt Russland nicht in die Ecke drängen
24:39und wird deshalb sicherlich nicht noch mehr dafür tun, dass Russland wirtschaftlich in Schwierigkeiten kommt.
24:48Also das ist so ein bisschen, ich würde sagen, von der chinesischen Seite gibt es da so eine Abwägung,
24:52wie viel, wo holen wir unseren Vorteil raus, wo schaffen wir eine Situation, wo Russland eben nicht untergeht und diesen Krieg verliert.
25:01Das ist, glaube ich, die Abwägung und da kommt dann eben so eine gemischte Lösung bei raus,
25:05wo es eben gewisse Preisnachlässe gibt, die Russland gewähren muss.
25:08Aber Russland kann eben weiterhin Öl und möglicherweise auch Gas verkaufen.
25:13Ich nehme an, dass die vielen Toten und Verwundeten durch diesen Krieg auch ihr Spuren hinterlassen in Russland.
25:22Sie haben schon erwähnt, dass das natürlich nicht nur persönliche Schicksale sind,
25:26sondern dass auch Kosten auf den Staat zukommen und auf die Familien.
25:31Dazu kommen auch noch einige Millionen Russinnen und Russen, wenn ich das richtig verstanden habe,
25:36die Russland aus freiem Willen heraus verlassen haben.
25:39Wie wirkt sich denn diese Entwicklung auf Russland aus?
25:43Ja, also ich glaube, dass es nicht einige Millionen sind.
25:45Es gibt unterschiedliche Schätzungen.
25:46Das ist wirklich ganz schwer zu sagen, wie viel Russinnen und Russen wirklich gegangen sind.
25:51Aber es gibt doch Hinweise, dass es vielleicht 500.000 sind, die gegangen sind.
25:58Natürlich durch meine Arbeit zu Russland kenne ich selber auch viele Menschen, die gegangen sind.
26:03Ich kenne auch einige, die wieder zurückgegangen sind.
26:05Und das hat einfach den Grund, dass es oft für die Russen im Ausland schwierig ist, Fuß zu fassen.
26:14Ist ja auch klar nachvollziehbar.
26:17Da muss man schon sehr hochqualifiziert sein, um automatisch dann einen Job zu bekommen.
26:21Und wenn dann in Moskau ein Job winkt, der irgendwie sehr gut bezahlt ist und wo man dann eine Karriere machen kann,
26:29dann ist das vielleicht für einen oder anderen auch verlockend.
26:32Zumal viele ja auch ihre Familie dann noch in Russland haben und so weiter.
26:36Also das ist ein kompliziertes Bild.
26:38Es gibt natürlich die Diaspora, das heißt alle, die auch politisch-oppositionell gesinnt sind,
26:43die nicht mehr zurück können, weil sie eben nicht mehr sicher sind.
26:46Also da ist dann die Situation auch klar.
26:50Aber wir sprechen von einigen hunderttausend, teilweise auch sehr hochqualifizierten Menschen,
26:55die eben im Ausland leben und die wegen des Krieges und der innenpolitischen Veränderungen danach,
27:01also der Verschärfung eben der Diktatur, eben sich gezwungen gesehen haben zu fliehen.
27:09Teilweise arbeiten diese Menschen weiterhin für russische Unternehmen aus dem nahen Ausland,
27:14vielleicht aus Armenien, Georgien und so weiter oder Kasachstan, also praktisch remote.
27:19Dann sind sie gewissermaßen weiterhin im russischen Arbeitsmarkt, aber arbeiten eben von außerhalb.
27:25Das gibt es auch.
27:26Teilweise haben sie sich auch wirklich komplett gelöst.
27:29Das ist natürlich schon ein schmerzhafter Aderlass für die russische Wirtschaft,
27:35weil das eben hochqualifizierte Menschen sind und weil Russland sehr große demografische Probleme hat.
27:40Das heißt, Russland kann es sich nicht leisten, diese hochqualifizierten Menschen zu verlieren eigentlich.
27:45Gleichzeitig hat auch die Rüstungsindustrie sehr, sehr viele, sagen wir, technisch ausgebildete Menschen an sich gezogen,
27:54also sehr viel, auch ungefähr eine Million neue Menschen eingestellt, die jetzt eben in der Waffenproduktion arbeiten,
28:01die vielleicht eine Ausbildung haben oder ein Studium im technischen Bereich.
28:06Und dann gibt es eben noch die Rekrutierung für die Armee, die wirklich, also die Menschen mit wenig wirtschaftlichen Perspektiven betrifft,
28:13also sprich Menschen, die vorher keinen Job hatten, Menschen auch, die im Gefängnis sitzen, Männer muss man sagen,
28:19oder auch Männer, die sehr wenig verdienen und schlechte Jobs hatten.
28:25Und das heißt, alle Segmente des Arbeitsmarkts sind davon betroffen.
28:30Und natürlich, also der Arbeitskräftemangel ist aktuell das größte wirtschaftliche Problem für Russland.
28:35Das ist der Grund, aus dem Russlands Wirtschaft aktuell nicht weiter wachsen kann.
28:39Die beschriebenen, also der Krieg beeinflusst das sehr stark auf die beschriebene Weise.
28:46Trotzdem ist es auch immer wichtig zu sehen, dass diese demografischen Probleme, die im Hintergrund ablaufen,
28:50die auch schon seit einigen Jahren ablaufen, dass die mindestens genauso problematisch sind.
28:55Also Russlands Bevölkerung in der Altersgruppe von 20 bis 60 Jahre schrumpft aktuell,
29:01aus rein demografischen Gründen, um eine Million pro Jahr.
29:04Und das ist so, da sieht man eben, dass es dann mehrere Dinge gibt, die zusammenkommen,
29:09die dafür sorgen, dass Russland diese Arbeitskräfteknappheit aktuell hat,
29:14dass Russland allerdings deshalb auch Vollbeschäftigung hat.
29:17Das muss man natürlich auch so formulieren, dass es für die Menschen, die in Russland dann sind,
29:22relativ einfach ist, einen Job zu finden.
29:25Auch wenn manche vielleicht dann nur die Möglichkeit haben, in die Armee zu gehen.
29:28Also die Arbeitslosigkeit ist auf jeden Fall aktuell kein drängendes Problem in Russland.
29:34Das ist natürlich ein hoher Preis, den man zahlt, wenn man dann der Armee beitritt.
29:40Wie kommt dieses demografische Problem zustande?
29:43Also ich bin jetzt naiv davon ausgegangen, der Krieg führt dazu,
29:47aber das dürfte ja schon länger im Gange sein.
29:51Ja, das sind lange Prozesse, die vor allen Dingen so historische Ursachen haben.
29:55Russland hat eine sehr spezielle Demografie.
29:58Ich meine, wir haben natürlich auch beispielsweise in Europa unsere demografischen Probleme.
30:02In Russland ist das noch ein bisschen extremer.
30:05Das ist eine Überlappung gewesen von Generationen, die jeweils von großen Krisen betroffen waren
30:12und deshalb wenig Kinder bekommen haben.
30:13Also es gab natürlich die Generation des Zweiten Weltkriegs.
30:19Deren Enkel sind dann sozusagen, das war die Generation, die in den 90er Jahren Kinder hätte bekommen sollen,
30:26wo es auch eben diese Umbruchskrise gab in Russland, wo es dann wiederum sehr wenig Geburten gab.
30:31Und das sind jetzt eben die Menschen, die aktuell in den Arbeitsmarkt eintreten.
30:35Und gleichzeitig hat man eine relativ große Generation von Menschen, die aktuell den Arbeitsmarkt verlassen,
30:41die dann eben in der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren sind,
30:46wo sich die Situation dann mit den Geburten wieder entspannt hat oder wo es viele Geburten gab.
30:50Und so durch diese historische Überlagerung der Krise der 90er Jahre und auch sogar des Zweiten Weltkriegs,
30:57der da eben eine Rolle spielt in der russischen Demografie, ist aktuell eben eine sehr spezielle Situation,
31:02wo es ungefähr halb so viele, sage ich mal, 20-Jährige gibt, als es 60-Jährige gibt.
31:09Und dadurch natürlich jedes Jahr sehr viele Menschen fehlen.
31:13Wenn alte Menschen in Rente gehen, lassen sich diese Stellen eben nicht eins zu eins neu besetzen.
31:17Ich will Sie jetzt nicht zum Schluss bitten, in die Glaskugel zu schauen, für uns, sondern in Szenarien zu denken.
31:25Wenn Sie all diese Faktoren zusammennehmen, Sanktionen, Demografieprobleme, die angeschlagene Ölindustrie, die Kriegskosten,
31:33wie wird das alles ausgehen?
31:35Wird Putin hier die Notbremse ziehen müssen, diesen Krieg beenden müssen?
31:40Wird es zu einem Ausbluten der russischen Wirtschaft kommen?
31:43Oder droht tatsächlich so auch so ein plötzlicher Kollaps?
31:47Ich glaube noch nicht, dass ein Kollaps droht aktuell.
31:52Der Preis, den Russland für diesen Krieg zahlt, ist enorm hoch.
31:56Aber es ist einer, der erst im Laufe der nächsten Jahre und vielleicht sogar Jahrzehnte bezahlt werden wird.
32:04Und der Putin aktuell nicht davon abhält, den Krieg weiterzuführen.
32:08Ich glaube, dass diese wirtschaftlichen und auch finanziellen Probleme im Staatshaushalt, im Wirtschaftswachstum,
32:17dass die vielleicht das Regime nochmal zwingen, sich zu verändern.
32:22Und es kann sein, dass es mehr staatliche Kontrolle in der Wirtschaft gibt.
32:25Es kann sein, dass auch nochmal beispielsweise Steuern erhöht werden, dass insgesamt der Krieg auch einfach spürbarer wird für die Bevölkerung,
32:32als er in den letzten Jahren war und auch einfach spürbar wird als Belastung.
32:36Das könnte dann zu Unmut führen in der Bevölkerung, dann vielleicht irgendwann im Netz der Instanz auch zu Protesten,
32:42die da niedergeschlagen werden.
32:43Das heißt, da gibt es natürlich auch schon Problempotenzial, die das Regime unter Druck setzen könnten und die auch zu Problemen führen.
32:52Aber Russland hat eben aktuell schon noch eine gewisse Resilienz, das zumindest noch einige Jahre fortzuführen,
33:02auch weil es ja einen sehr fähigen Repressionsapparat hat.
33:05Also es ist ja auch ein sehr autokratisches Regime, was sehr wenig Unmut zulässt, also Unmutsäußerung jedenfalls, sehr viel zensiert auch.
33:16Und also deshalb sehe ich da noch nicht das Ende der Durchhaltefähigkeit der russischen Seite erreicht.
33:24Auch wenn, wie Sie beschrieben haben, die Situation natürlich immer schwieriger wird
33:27und wir jetzt aktuell auf jeden Fall wirtschaftlich gesehen im schwierigsten Jahr dieses Krieges sind
33:32und auch diese unglaublich großen Verluste, die einfach auch nicht im Verhältnis stehen zu den vorherigen Kriegen,
33:39die vielleicht Russland und die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg geführt haben,
33:45auch wenn das irgendwann mal sicherlich ein Thema sein wird, was Russland sehr viel beschäftigen wird,
33:50wird das eben aktuell noch relativ erfolgreich unterdrückt.
33:53Aus Europa ist es immer einfach zu sagen, oder zu fragen, warum die russische Bevölkerung nicht aufgestanden ist
34:02oder viel zu wenig aufgestanden ist in den letzten Jahrzehnten,
34:06wenn es um die Einschränkung von Freiheiten ging, wenn es um die Unterdrückung ging von Menschengruppen.
34:12Ist letztendlich die Entwicklung der Wirtschaft das, was Putin am meisten gefährden könnte in den nächsten Jahren?
34:20Ja, ich glaube, dass die Wirtschaft eine große Rolle spielen wird in den nächsten Jahren.
34:28Der Grund ist einfach, dass Putins Macht darauf basiert, dass die Menschen den Krieg ausblenden können.
34:38Also das ist praktisch der Deal aktuell.
34:40Die Menschen werden nicht gezwungen, sich mit dem Krieg auseinanderzusetzen.
34:43Sie werden auch nicht gezwungen, auf größtenteils, es gab natürlich eine Mobilisierungswelle 2022,
34:49aber sie werden nicht unbedingt gezwungen, mitzukämpfen.
34:53Und sie können ein Privatleben führen, in dem sie einfach versuchen können, den Krieg zu vergessen.
34:58Und das tun meines Erachtens mehr als die Hälfte der russischen Bevölkerung.
35:02Und wenn die Wirtschaft jetzt in Probleme gerät, wenn das Benzin knapp wird,
35:06wenn die Inflation in die Höhe geht, wenn der Staat die Steuern erhöht oder dann Ausgabenrenten kürzen muss irgendwann,
35:13dann ist der Krieg natürlich für alle plötzlich sehr spürbar.
35:17Und dann wird sich auch zeigen, dass die Russen den Krieg eigentlich nicht wirklich verstehen.
35:22Ich glaube, es gibt wenig wirklich glühende Anhänger dieses Krieges in der russischen Bevölkerung.
35:27Es wird eben hingenommen, aber es wird nicht unterstützt aktiv.
35:31Also ich denke, dass diese Lücke zwischen dem russischen Regime,
35:36was eben relativ fanatisch in diesem Krieg involviert ist und wo das praktisch auch schon ein Krieg ist,
35:43an dem Putins Macht irgendwo hängt und dem, was die Bevölkerung eigentlich dazu denkt,
35:48der wird dann deutlich spürbarer werden, wenn der Preis des Krieges eben auch für alle deutlich spürbarer wird.
35:53Und da spielt die Wirtschaft eine zentrale Rolle.
35:55Janis Kluge, vielen, vielen Dank für diese Einblicke.
35:59Sehr gerne.
36:01Und wenn euch diese Folge gefallen hat, dann gebt uns gerne eine gute Bewertung bei der Podcast-Plattform eurer Wahl.
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