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Transkript
00:00Herzlich willkommen zu Anwälte der Toten. Mein Name ist Klaas Buschmann und diese Fälle haben wir heute für Sie.
00:07Der Fall Jack Unterweger. Eine nicht enden wollende Mordserie an Prostituierten in Österreich, Prag und Los Angeles bringt die Polizei in den 90er Jahren an ihre Grenzen.
00:201981. In Bayern wird ein zehnjähriges Mädchen entführt. Die Kidnapper verlangen zwei Millionen Mark Lösegeld. Das Kind erstickt in einer Holzkiste.
00:282009. Der Amoklauf von Winnenden. Ein 17-Jähriger erschießt binnen weniger Stunden 15 Menschen.
00:37Ein Mörder fängt im Gefängnis an zu schreiben und wird auf einmal zum Liebling der österreichischen Kulturschickerier.
00:44Jack Unterweger. Mit Talent und Charme wickelt er Menschen um den Finger. Er kommt sogar vorzeitig aus der Haft.
00:50Während Unterweger durch den österreichischen Kulturbetrieb tingelt, kommt es in Tschechien, Österreich und dann noch in den USA zu einer Mordserie an Prostituierten.
01:00Und immer ist ein Mann zufällig in der Nähe. Jack Unterweger. Doch er hat stets ein Alibi.
01:09Eversbach. Ein hessisches Dorf im Winter 1974. Zwei Wochen vor Heiligabend.
01:16Jack Unterweger ist hierher gekommen, um eine Freundin zu besuchen. Gemeinsam ziehen die beiden los.
01:21Zufällig begegnen sie der 18-jährigen Margrit Schäfer. Sie begleiten die Frau in ihre Wohnung.
01:27Dort fesseln sie sie, zerren sie ins Auto und fahren in ein Waldstück.
01:32Hier schlägt Unterweger mit einer Stahlrute auf die junge Frau ein.
01:35Als sie versucht zu fliehen, reißt er ihr die Kleidung vom Leib und stranguliert sie mit dem Draht ihres Büstenhalters, bis Margrit Schäfer nicht mehr atmet.
01:46Unterweger ist kein unbeschriebenes Blatt.
01:47Wegen Zuhälterei und schwerer Körperverletzung ist er bereits vorbestraft und gerät ins Visier der Ermittler.
01:55Im Juni 1976, zwei Jahre nach der Tat, wird er vom Landesgericht Salzburg wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt und muss in der Justizvollzugsanstalt Stein einsitzen.
02:08Geboren wird Johann Jack Unterweger als unehelicher Sohn eines US-Soldaten und einer Kellnerin.
02:13Seine Kindheit verbringt er ohne die Mutter in einem winzigen Dorf in Kärnten.
02:20Hier führt der alkoholabhängige Großvater das Regiment. Vergessen, vernachlässigt, geschlagen.
02:26Die Kindheit des kleinen Jack war rau und nicht behütet.
02:30Im Gefängnis holt Unterweger seinen Schulabschluss nach.
02:33Er beginnt zu lesen und arbeitet in der Gefängnisbibliothek.
02:37Er, dem niemals eine höhere Schulbildung zuteil wurde, versucht sich zum Intellektuellen zu entwickeln.
02:44Unterweger beginnt sein literarisches Schaffen mit einem Gedichtband.
02:48Der vielsagende Titel Tobendes Ich.
02:51Es folgen Romane, Erzählungen, sogar Geschichten für Kinder.
02:56Berühmt wird er mit dem autobiografischen Roman Fegefeuer.
03:00Selbst einen Literaturpreis für Gefangene erhält er.
03:03Das alles zeigt Wirkung.
03:05Ich habe etwas davon gelesen, ich habe gesehen, der Mann hat sich mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt
03:12und hat sich durch das Schreiben meiner Ansicht nach befreit,
03:18hat sich also das von der Seele weggeschrieben
03:20und bin dafür eingetreten, also mit vielen anderen Kollegen, dass er vorzeitig entlassen wird.
03:26Auch der Anstaltsleiter hat diesen Druck verspürt.
03:28Er galt als liberal, der Hofrat Schreiner.
03:30Der hat dann seiner Anstaltspsychologin, mein Gott, ein junges Weiber,
03:33wo das seit drei Monaten im Beruf war.
03:36Seit drei Monaten im Beruf, der Anstalter, hat ihr gesagt,
03:39komm, schreibst du was Nettes über den Unterweger, das brauchen wir für die Entlassung.
03:43Das hat sie bei Gericht so gesagt.
03:45Nach 16 Jahren im Gefängnis kommt der Frauenmörder Jack Unterweger im Mai 1990 auf freien Fuss.
03:51Jack Unterweger, dieser bösartige Narzisst, dieser höchst gefährliche Mensch
03:57mit all seiner Manipulations- und Selbstdarstellungskraft,
04:01ist ohne jegliche Sicherung entlassen worden.
04:04Das heißt, er hat keine Weisung bekommen für die Bewährungshilfe,
04:08für eine kontrollierende Psychotherapie oder für was auch immer.
04:12Es war sozusagen eine Unbefreigesetz, von der es nur eine Frage war,
04:16bis sie wieder dann tatsächlich ihr verheerendes Werk anrichtet.
04:20Die Kulturschickeria in Wien nimmt den als Gefängnisliteraten verehrten Verbrecher
04:25mit offenen Armen auf.
04:27Eines seiner Bücher wird gar verfilmt.
04:31Man reicht den Ex-Häftling mit dem Stigma lebenslänglich
04:35auf Partys der Wiener Gesellschaft herum.
04:37Mehrfach ist er zu Gast in österreichischen Fernsehsendungen.
04:41Ob in Wien oder anderen Städten.
04:43Unterweger bewegt sich aber auch weiterhin im Rotlichtmilieu.
04:46Fünf Monate nach seiner Haftentlassung
04:50kommt es in Österreich und Tschechien
04:52zu einer Serie von Prostituiertenmorden.
04:55Nach den Vorgängen seiner Kreditkarte zu urteilen,
04:58war Unterweger immer in der Nähe der Tatorte,
05:00um Autorenlesungen abzuhalten.
05:03Man verdächtigt den einschlägig Vorbestraften zwar,
05:05kann ihm aber nichts nachweisen.
05:09Dann verschwindet in Graz eine weitere Prostituierte.
05:12Kurz darauf entdeckt man in Wien zwei weitere Frauenleichen.
05:16Wie bei den Opfern zuvor,
05:18hat der Täter auch sie mit ihrer Unterwäsche erdrosselt.
05:21Die Polizei lädt Unterweger erneut vor.
05:23Doch er kann Zeugen präsentieren, die sein Alibi bestätigen.
05:28Vorsichtshalber setzt er sich mit seiner Freundin in die USA ab.
05:31Schon ein Jahr zuvor ist er für ein Buchprojekt hier gewesen.
05:35Genau zu dieser Zeit werden dort mehrere Prostituierte ermordet.
05:39Wie in Österreich stranguliert mit ihrer eigenen Unterwäsche.
05:46Einen Zusammenhang zwischen den beiden Mordserien
05:49sehen die Behörden zunächst nicht.
05:51Es ist vielmehr der Ehrgeiz eines pensionierten Polizisten,
05:55der Unterweger schließlich zum Verhängnis wird.
05:58Ein alter Fall hat ihn nie losgelassen.
06:00Er hat immer Unterweger für den Täter gehalten.
06:03Und auch die Prostituiertenmorde tragen nach seiner Meinung
06:05dessen Handschrift.
06:06Der Pensionär informiert die Polizei.
06:09Diese lässt Unterweger schließlich observieren.
06:15Ein Ex-Polizist bringt die Ermittler schließlich auf die Spur Unterwegers.
06:19Die Indizien gegen den Knastpoeten sind erdrückend.
06:23Nach Unterweger wird nun mit internationalem Haftbefehl gefahndet.
06:27Der Verdächtige, das wissen die Behörden, hält sich zu diesem Zeitpunkt in Miami auf.
06:32Seine Kreditkarte führt die Behörden auf seine Spur.
06:34Am 27. Februar 1992 stellen ihn drei US-Marshals vor einem Geldautomaten,
06:41als Unterweger versucht, sein Honorar für ein Zeitschrifteninterview abzuheben.
06:46Drei Monate sitzt er in Miami als Untersuchungshäftling hinter Gittern.
06:50Noch aus der Zelle in Florida heraus betreibt er seine Rehabilitation,
06:54empfängt sogar ein Fernsehteam.
06:56Unterweger scheint überzeugt zu sein, dass ihm niemand etwas nachweisen könne.
06:59Ausgehen muss man jetzt einfach davon, ich habe jetzt nichts getan.
07:22Ich habe 21 Monate zwar ziemlich wild gelebt, wie man so schön sagt,
07:27aber ich habe keine Straftaten, ich habe keine Finanzlinken geschoben,
07:33ich habe gearbeitet von 8 Uhr früh bis Mitternacht,
07:36also im Büro tagsüber bei einer Werbeabteilung,
07:39und nachts war mein Schreiben.
07:41Und habe nebenbei ja noch laut Polizei so viele Frauen gehabt.
07:45Also ich bin sowieso irgendwo mehrfach tätig.
07:47Also ich weiß jetzt nicht, wie es geht, aber die werden es ermittelt haben.
07:52Lass uns doch die Kamera von den Handschellen, bitte.
07:58Den entscheidenden Hinweis gibt schließlich eine Prostituierte aus Graz.
08:03Die Frau hat Unterweger im Winter 1990,
08:06ein halbes Jahr nach dessen Entlassung aus der Haft, kennengelernt.
08:09Also mir hat er mal gefragt, wie der ausgeschaut hat.
08:14Ich habe die Personenbeschreibung abgegeben.
08:17Dann haben sie mir ein Polizeifoto gezeigt,
08:19und dann haben sie gesagt, ja, das ist der Jack Unterweger.
08:21Und da habe ich aber dann noch nichts erfahren gehabt,
08:23dass er in Deutschland schon draußen einen ermordet hat.
08:27Das habe ich erst am nächsten Tag dann erfahren.
08:29Damals muss die Frau Unterwegers sadistische Sexualpraktiken
08:33am eigenen Leib erfahren.
08:34Es stimmt, dass ich bei der war, kurz nach der Entlassung,
08:51also eineinhalb Jahre früher.
08:53Es stimmt, dass ich sie gut bezahlt habe
08:55und dass ich sie bis vor die Haustür geführt habe.
08:56Aber es stimmt überhaupt nicht, dass ich die geschlagen habe.
08:58Und wenn die heute kommt, vor eineinhalb Jahren habe ich sie geschlagen,
09:01dann ist das ihr Pech, dass sie kein ärztliches Attest hat.
09:04Ansonsten bleibt Unterweger dabei.
09:07Man verdächtige ihn zu Unrecht.
09:09Er sei unschuldig.
09:10Er scheint sich seiner Sache ganz sicher zu sein.
09:13Ich weiß, dass ich nicht der Mörder bin.
09:16Ich weiß, weil ich nicht der Mörder bin,
09:18es kann keinen Beweis geben.
09:20So gesehen muss ich spätestens beim Prozess freikommen.
09:25Wegen der Mordserie in den USA
09:27erheben die amerikanischen Richter keine Anklage gegen Unterweger.
09:30Dort hätte ihm die Todesstrafe gedroht
09:33und man will diplomatische Verwicklungen mit Österreich vermeiden.
09:37Also wird Unterweger in seine Heimat ausgeliefert
09:39und kommt in Graz in Untersuchungshaft.
09:42In zwei Jahren entsteht eine Anklageschrift,
09:45die ihn des elffachen Mordes beschuldigt.
09:49Unterweger streitet weiterhin alles ab.
09:52Er wird nie ein Geständnis ablegen
09:54und verweigert eine psychologische Untersuchung.
09:56Das Gericht unternimmt noch einen letzten Versuch
09:59und bestimmt den damals 40-jährigen Psychiater
10:02Reinhard Haller zum Gutachter in diesem Prozess.
10:08Das Beeindruckendste war auf der einen Seite
10:10die hohe Manipulationskraft, die er ausgeübt hat,
10:14auch auf mich als Sachverständigen.
10:16Auf der anderen Seite der Charme des Psychopathen,
10:19der bei ihm geradezu lehrbuchmäßig versprüht worden ist.
10:22Und diese Unfassbarkeit, dass dieser jungenhaft,
10:26gutmütig, verständnisvoll wirkende Mann
10:28tatsächlich ein Serienkiller sein soll.
10:31Haller bescheinigt Unterweger
10:33eine narzisstische Persönlichkeitsstörung,
10:35gepaart mit antisozialem Verhalten.
10:39Zu Prozessbeginn am 20. April 1994
10:43ergreift der Angeklagte das Wort.
10:46Unterweger war fest davon überzeugt,
10:49dass er mit seiner Intelligenz
10:51die Situation vollkommen beherrscht,
10:53dass er alle Fallstricke bedenkt
10:55und dass man ihm diese Taten nie nachweisen wird können.
10:58Er hat aber etwas vergessen.
11:00Da fast alle Opfer auf ähnliche Art stranguliert wurden,
11:04wurde eine amerikanische Knotenspezialistin
11:06mit einem Gutachten beauftragt.
11:10Slip und Body wiesen dieselben Merkmale auf.
11:14Sie waren persönliche Kleidungsstücke.
11:16Sie waren zerschnitten und zerrissen.
11:18Sie waren sehr eng um den Hals geschlungen.
11:21Die Knoten waren sehr kompliziert
11:26und wiesen Übereinstimmungen zu den Fällen in Los Angeles auf.
11:32Im Juni 1994 spricht das Gericht in Graz sein Urteil.
11:37Zeugen, die Unterwegers Täterschaft belegen, gibt es nicht.
11:40Es bleibt ein Indizienprozess.
11:43Noch einmal ergreift Unterweger das Wort.
11:45Der Unterweger hat ja immerhin erst beim 2. oder 3. Scheitern.
11:50Jetzt war ihm klar, jetzt war da nichts mehr zu machen
11:53mit aller manipulativen Fähigkeiten, die er hatte.
11:56Noch einmal würde er das Ding nicht durchziehen können.
12:00Jetzt bleibt da wirklich bis zum Lebensende
12:02eine klägliche Figur im Gefängnis.
12:04Das war mit seinem Selbstkonzept nicht vereinbar.
12:06Dann fällt das Gericht sein Urteil.
12:09Wegen neunfachen Mordes wird der einstige Knastpoet
12:12zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
12:15In zwei Fällen ist seine Tatbeteiligung nicht nachzuweisen.
12:19Damit scheint der Fall für die österreichische Justiz abgeschlossen.
12:23Unterweger weiß, er kann niemals mehr ein Leben in Freiheit führen.
12:27Noch in der Nacht erhängt er sich in seiner Zelle.
12:29Der endgültige Beweis, dass er tatsächlich der Täter gewesen ist,
12:33ist anhand des Knoten, mit dem er sich selbst aufgehängt hat, gelungen.
12:37Man hat die Art, wie dieser Knoten geknüpft worden ist,
12:40mit jenen der Opfer verglichen und festgestellt,
12:45dass es derselbe Handwerker gewesen sein muss.
12:48Johann Jack Unterweger geht als Serienmörder in die Kriminalgeschichte ein.
12:54Durch Unterwegers Tod wurde der Schuldspruch nie rechtskräftig.
12:57Rechtskräftig. So sieht es das österreichische Strafrecht vor.
13:06Unser nächster Fall.
13:08Niemals wurde seine Kompetenz als Arzt in Frage gestellt.
13:11Er sollte sogar zum Leiter der forensischen Psychiatrie in Dresden ernannt werden.
13:15Gerd Postel. Seine Ausbildung? Postbote.
13:19Ganze zwei Jahre arbeitet er als Oberarzt in einer psychiatrischen Klinik in Sachsen.
13:23Mit Redetalent, Dreistigkeit und gefälschten Dokumenten gelingt es ihm,
13:28seine Umgebung für sich einzunehmen und sich diverse Jobs als Mediziner zu erschleichen.
13:34Er selbst bezeichnet sich als Hochstapler der Hochstapler.
13:37Die Karriere eines Lügenbarons.
13:41Er ist Deutschlands dreistester Betrüger.
13:44Mitte der 90er Jahre erschleicht sich Gerd Postel eine Anstellung als Nervenarzt
13:48in einer psychiatrischen Klinik in Sachsen.
13:50Seine selbstsichere, überhebliche Art hilft ihm dabei.
13:54Ich habe gesprochen über die Pseudologia Fantastica,
13:57das ist die Lügensucht im Dienste der Ich-Erhöhung,
13:59am literarischen Beispiel der Figur des Felix Kohl,
14:02im gleichnamigen Roman von Thomas Mann.
14:04Und dann fragte mich im Anschluss der Vorsitzende
14:06der Berufungskommission in Dresden,
14:08Professor der Psychiatrie, über was ich promoviert hätte.
14:11Er hat gesagt, ja, über kognitiv induzierte Verzerrungen
14:13der Stereotypenurteilsbildung.
14:14Und das ist eine Aneinanderreihung leerer Begriffe.
14:18Und dann sagte er, ach, das ist ja interessant,
14:20Sie werden sich bestimmt bei uns wohlfühlen.
14:22Die Klinik ist jedoch nicht das erste Tätigkeitsfeld
14:25des Hochstaplers aus dem Westen.
14:27Sie ist lediglich der Höhepunkt einer dreisten, kriminellen Karriere.
14:32Und so praktiziert der Briefträger Postel jahrelang
14:34als Halbgott in Weiß, bis er auffliegt.
14:37Postel hat einen nachgeholten Realschulabschluss,
14:44als er eine Lehre bei der Post in Bremen beginnt.
14:47Ein früherer Arbeitskollege erinnert sich.
14:50Jetzt im Postdienst, er hat es nicht so ernst genommen,
14:53weil er gar nicht vorhatte,
14:54auf der Schiene sein Leben weiterzuführen.
14:57Er hat das wohl auch nur gemacht wegen seinem Vater.
15:00Der wohl sagte, du musst irgendwas lernen oder so weiter.
15:03Hat aber damals schon im Sinn gehabt, okay, ich will das und das machen.
15:06Ich bin zu höheren Berufen.
15:09Passende Umgangsformen und wie man in studierten Kreisen spricht,
15:13schaut sich Postel von befreundeten Akademikerinnen ab.
15:16So wird aus dem Postboten Postel auf dem Papier
15:19schließlich Dr. Dr. Clemens Bartholdy.
15:23Als dieser bewirkt Postel sich 1982 beim Gesundheitsamt Flensburg
15:27und wird prompt eingestellt.
15:30Er hatte mindestens ein bestimmtes mediklinisches Wissen,
15:33dass er vielleicht in einigen Dingen nicht so geschickt war
15:37und dadurch offenbarte, dass es also mit seinen Kenntnissen nicht so weit her war,
15:42ließ sich damit erklären, dass er nach so jung war
15:45und eben Erfahrungen noch sammeln musste.
15:48Ich war ja doppelt promoviert, Dr. Dr. Clemens Bartholdy,
15:52weil so der bürgerliche Scharfblick mit dem doppelten Doktortitel also vollends verkleistert wurde.
15:58Und dann hat er gesagt, der Landgerichtspräsident,
16:00ja, mit 30, ich hatte vorgegeben, 30 zu sein, schon zweimal promoviert.
16:04Ich habe gesagt, ja, Herr Präsident, ich habe in Bayern studiert, in München, da wird noch gearbeitet.
16:08Und er hat gesagt, sehen Sie, wir verstehen uns.
16:10Nur ein Zufall enttarnt den Betrüger.
16:14Er verliert seine Brieftasche.
16:16Eine ehrliche Finderin bringt sie zur Polizei.
16:19Die erstaunten Beamten finden zwei Ausweise.
16:22Einen städtischen Dienstausweis, ausgestellt auf den Namen Bartholdy,
16:26und einen Presseausweis, der einem Journalisten namens Gerd Postel gehört.
16:30Die Lichtbilder jedoch zeigen ein und denselben Mann.
16:34Er gab dann an, dass er das Fahrzeug mit Flensburger Kennzeichen gesehen hat
16:39in das Fahrzeug hineinschraute und das Funkgerät bemerkte.
16:41Er habe gleich gewusst, dass es sich um ein Kripo-Fahrzeug handelt und dass man ihn sucht.
16:47So ist es also dann zur Verhaftung gekommen.
16:50Postel kommt mit einem Jahr auf Bewährung davon und macht unbeirrt weiter.
16:54Mittel zum Zweck seiner Betrügereien, das Telefon.
16:58Mühelos mimt Postel Akademiker verschiedenster Fachrichtungen
17:01und besorgt sich auf diese Weise offizielle Stempel für Dokumente,
17:05die er für seine falsche Identität als Nervenarzt mit doppeltem Doktortitel benötigt.
17:10Egal ob Richter, Pastor oder Behördenleiter, der Betrüger wechselt die Rollen wie ein Chamäleon.
17:17Ein Jahr nach seiner Bewährungsstrafe schreibt er über seine Abenteuer ein Buch.
17:22In einem Interview von 1998 lässt er leichte Reue erkennen, fordert aber zugleich Nachsicht.
17:28Ja, ich will auch gar nicht behaupten, dass ich mich immer nur gut verhalten habe.
17:33Es gibt auch Dinge in mir, die ich auch nicht richtig finde im Nachhinein.
17:37Aber man hat doch ein Recht, wenn man irgendwas eingesehen hat, nicht permanent an Dingen,
17:40die man möglicherweise oder auch tatsächlich falsch gemacht hat, festgehalten zu werden.
17:43Das absurde Ziel seiner Betrügereien war zu beweisen, dass Psychiater nichts weiter als Hochstapler seien.
17:50Dazu sollte laut Postel auch seine ergaunerte Tätigkeit als vermeintlich promovierter Nervenarzt in der Klinik in Sachsen dienen,
17:57für die der sensible Betrüger nach eigenem Empfinden selbstlos sein Privatleben opferte.
18:03Hinzu kam, dass ich zu emotionalen Beziehungen zu Menschen, also menschlichen Beziehungen, Freundschaften, Liebesbeziehungen natürlich nicht eingehen konnte.
18:11Weil ich ja niemals Menschen, denen ich nahe hätte sein wollen, irgendwie sie belogen hätte.
18:19Seine Freizeit nutzt der einsame Möchtegern-Akademiker zur Weiterbildung.
18:23Das belegen von ihm in der Klinik zurückgelassene philosophische Bücher.
18:29Wie man wird, was man ist, jenseits von Gut und Böse, der Aufstand der Massen, die Hölle ist überwindbar,
18:35die Logen der Freimaurer, Stichwort Freimaurer, wie die Hoffnung wächst. Das war so die Literatur.
18:41Bis Juli 1997 kann Postel unbehelligt im Krankenhaus im sächsischen Tschadras arbeiten.
18:49Dann erkennt ihn eine Ärztin von seiner früheren, ebenfalls erschwindeten Tätigkeit als Amtsarzt in Flensburg wieder.
18:56Er flieht nach Berlin. Dort mietet er unter einem weiteren falschen Namen eine Wohnung.
19:00Doch da haben ihn die Zielfahnder bereits im Visier.
19:03Dann habe ich mich in ein Polizistenhirn versetzt und habe gedacht, so, jetzt bist du Polizist und jetzt gehst du an die Tür.
19:09Und dann habe ich an die Tür einen Zettel gemacht, lieber Peter, ich bin bei Susanne in Bremen, nächste Woche wieder da, liebe Grüße Gerd.
19:16Da habe ich aber nicht ostentativ an die Tür geklebt, weil das wäre zu offensichtlich gewesen und zu wenig subtil,
19:22sondern die habe ich so ein bisschen unter die Fußmatte gelegt.
19:24Und dann saß ich morgens beim Frühstück da in meiner Wohnung in Berlin und dann ging der Fahrstuhl so häufig.
19:31Und das hat natürlich, meine Intuition hat mir gesagt, dann bin ich ans Okular gegangen und habe gesehen,
19:36wie da also die Polizei vor der Tür stand und dieser Zettel in ihren Hemden, den sie inzwischen gefunden hatten,
19:41war der sichere Beweis, der Gesuchte kann sich in der Wohnung nicht aufhalten.
19:44Das ist wirklich ganz qualifizierte Polizeiarbeit gewesen.
19:48Und dann habe ich allerdings den Standort gewechselt.
19:50Seine weitere Flucht führt Postel nach Esslingen in Baden-Württemberg.
19:54Und zwar schnurstracks ins Amtsgericht.
19:57Hier hilft ihm eine Richterin, mit der er befreundet ist.
20:01Da hat er sich angemeldet, er kommt jetzt.
20:04Und da hat er gesagt, ich habe aber jetzt gerade einen Prozess laufen.
20:08Gut, dann geht er rein in den Gerichtssaal, die Richterin sieht es, bricht den Prozess ab,
20:13bietet ihn ins Richterzimmer und gibt ihm den Hausschlüssel, dass er bei ihr unterkommt.
20:17Die Juristin verrät ihn schließlich doch.
20:20Kriminalbeamte nehmen Postel in einer öffentlichen Fernsprechzelle während eines Telefoninterviews.
20:24Im Januar 1999 kommt der Hochstapler in Leipzig vor Gericht.
20:32Es war wie im Popkonzert, wird Postel die Atmosphäre später beschreiben.
20:37Schlagartig erfährt der Gauner mehr Aufmerksamkeit, als er je für möglich hielt.
20:41Es hat nie einer begriffen, warum das überhaupt möglich war.
20:45Es war möglich, weil ich über eine extrem entwickelte Intuition verfüge.
20:51Und das meine ich ganz ernsthaft. Das war der Schlüssel für die ganze Geschichte.
20:54Die Regeln beherrschen, ohne sie zu kennen.
20:57Der Fall Postel. Ein Skandal. Und beschämend für den Berufsstand der Psychiater.
21:02Der Pseudomediziner wandert hinter Gitter. Von der vierjährigen Freiheitsstrafe muss er nur zwei Drittel verbüßen.
21:09Seitdem verhält er sich unauffällig.
21:12Postel vermarktet sein Leben in Buchform. Bis heute gibt er Interviews und hält Vorträge.
21:17Ich habe keine Sehnsucht nach Etikettierung. Ich muss das nicht bezeichnen.
21:21Ich meine, die Dinge, die geschehen sind und die ich da veranstaltet habe, die fand ich sehr lehrreich.
21:27Das war ja doch ein Experiment. Also ich habe sehr viel gelernt. Und ich muss dem keine Bezeichnung geben.
21:31Und wenn schon Hochstapler, dann Hochstapler unter Hochstaplern.
21:352015 wird seine Lebensgeschichte von der Rapperin Pilz im Song Gerd Postel verewigt.
21:41Heute lebt er unter seinem echten Namen in Tübingen.
21:44Nicht wenige Hochstapler sind so selbstverlebt, dass sie ihren zweifelhaften Ruhm mit möglichst vielen Menschen teilen möchten.
21:53Gerd Postel etwa schrieb dieses Buch und sogar noch ein zweites.
21:58Und nun zu einem ganz anderen Fall.
22:011981 verschwindet die zehnjährige Ursula Herrmann spurlos.
22:05Der oder die Entführer fordern zwei Millionen D-Mark Lösegeld.
22:09Doch dann bricht jeglicher Kontakt ab.
22:11Ursula wird nach wenigen Tagen schließlich tot in einer Kiste im Wald gefunden, vergraben.
22:19Die Suche nach dem Täter dauert fast 30 Jahre.
22:21Doch haben die Ermittler am Ende schließlich den richtigen gefasst?
22:2415. September 1981.
22:28Für die zehnjährige Ursula Herrmann ist es der erste Schultag nach den Sommerferien.
22:33Nach dem Unterricht radelt sie zu ihrem Onkel nach Schondorf am Ammersee.
22:38Gegen 19.35 Uhr macht sich das Kind auf den Heimweg.
22:41Ursula ist spät dran. Bald wird es dunkel.
22:44Sie muss von Schondorf durch das Waldstück Weingarten radeln, um Eching zu erreichen, wo sie und ihre Eltern wohnen.
22:54Den Weg kennt sie gut. Sie nimmt diese Route häufig, aber nicht zu festen Zeiten.
23:00Es dämmert bereits, als sie durch den Wald fährt.
23:03Wahrscheinlich merkt sie nicht, dass sie beobachtet wird.
23:06Dieses Gelände war also dermaßen unübersichtlich, dass der Täter exzellente Kenntnisse von dem Gebiet haben musste.
23:13Und meiner Meinung nach waren es also zwei Täter. Mindestens zwei Täter.
23:17Auf halber Strecke reist jemand Ursula von ihrem Fahrrad.
23:21Der oder die Entführer schleppen sie in den Wald.
23:24Als das Kind nicht nach Hause kommt, ist die Mutter voller Sorge.
23:27Die Familie macht sich auf die Suche.
23:30Es war natürlich schon dunkel, als wir angefangen haben zu suchen.
23:32Und sind diesen Waldweg entlang gelaufen, rufend.
23:36Weil wir gedacht haben, vielleicht hat sie sich verletzt, vielleicht liegt sie irgendwo und beantwortet dann unser Rufen.
23:41Und nachdem dann die Suche ergebnislos verlaufen ist, haben meine Eltern natürlich sofort die Polizei verständigt.
23:47Um 23.30 Uhr am 15.09. wurde dann also abseits dieses Weges das Fahrrad des Mädchens gefunden.
23:53Schaut so aus, als wenn sie also in den Wald hineingeschoben worden wäre, dort abgelegt worden war.
23:57Der Turmbeutel war noch drauf, den das Kind also dabei gehabt hat.
24:01Vom Kind keine Spur.
24:02Tagelang suchen Polizei, freiwillige Feuerwehr, Nachbarn und Freunde nach dem Mädchen.
24:08Doch von ihr fehlt jede Spur.
24:11Gleichzeitig gehen bei ihren Eltern, dem Lehrer Michael Herrmann und dessen Frau Anne-Luise, insgesamt zehn mysteriöse Anrufe ein.
24:18Der Anrufer sagt nichts.
24:21Es ist lediglich eine Melodie zu hören.
24:22Die Polizei zeichnet sie auf, kann sich aber keinen Reim darauf machen.
24:26Zu hören ist nur das Verkehrssignal des Radiosenders Bayern 3.
24:44Drei Tage nach Osulas Verschwinden erreicht die Eltern ein Erpresserbrief.
24:49Die Kidnapper verlangen zwei Millionen Mark Lösegeld.
24:52Es hat sich ergeben, dass diese Erpressung von langer Hand vorbereitet war.
24:56Denn der erste Erpresserbrief war aus Zeitungen ausgeschnitten.
24:59Meistens war es also Bild am Sonntag.
25:01Die also bereits im Mai 1981 verkauft worden waren.
25:08Der Erpresserbrief enthält genaue Details.
25:11Das Lösegeld soll ausschließlich aus gebrauchten 100-Mark-Scheinen bestehen.
25:15Die Eltern sollen auf weitere telefonische Anweisungen warten.
25:19Dann kommt tatsächlich ein erneuter Anruf.
25:21In einem zweiten Brief fordern die Täter die Bereitstellung eines gelben Fiat 600.
25:32Für den Fall, dass die Eltern die Polizei einschalten, drohen sie mit dem Tod des Kindes.
25:36Dann reißt der Kontakt ab.
25:43Drei Wochen lang passiert nichts.
25:46Ursula bleibt verschwunden.
25:47Abermals durchkämen Polizisten das Waldgebiet Weingarten Zentimeter für Zentimeter.
25:53Um 9.43 Uhr am 4.10. hat ein Beamter der Bereitschaftspolizei in dieser Fichtenschonung, auf dieser Lichtung,
26:01eine verdächtige Bodenverfärbung also festgestellt, hat mit seiner Sonde nachgestochert und hat gemerkt,
26:07dass da also was Hartes darunter ist, hat die beiden Beamten des Erkennungsdienstes gerufen
26:12und die haben dann festgestellt, dass da eine Kiste im Wald vergraben ist.
26:15Die Schülerin war in dieser Kiste eingepfercht, bedeckt mit einer dicken Lehmschicht, damit keine Geräusche nach außen dringen.
26:26Das ist ein Anblick, den ich nicht vergessen kann, weil allein die Öffnung in die Kiste war schon so eng,
26:35dass man sich vorstellen konnte, dass ein Mensch, der da hinein muss, unter furchtbaren Ängsten leiden muss.
26:43Der Kriminalbeamte Joachim Solon muss den Eltern die erschütternde Nachricht vom Tod ihrer Tochter überbringen.
26:50Wenn ich an diesen 4. Oktober zurückdenke, dann sind da schon diese ersten Szenen bei uns im Wohnzimmer im Kopf,
26:57wo der damalige Sachbearbeiter, der Herr Solon und wohl noch ein Zweiter da waren und uns diese Nachricht überbracht haben.
27:05Und wo ich meine Eltern jetzt da noch sehe und meine Mutter, die das gar nicht fassen konnte.
27:14Ein Rohrsystem sollte zur Belüftung der Kiste dienen, in der die Polizei das tote Mädchen findet.
27:20Darin liegen außerdem Lebensmittelvorräte wie Schokolade, Kekse und Mineralwasser.
27:26Außerdem finden die Ermittler Comichefte und Groschenromane.
27:29Besonders pervers war ja das Lesematerial. Es war eigentlich total also hirnrissig.
27:34Die Vorstellung des Täters, dass also ein 10-jähriges Kind Liebesromane, Wildwestromane oder Gruselromane also lesen könnte.
27:42Bei der Obduktion der Leiche stellt ein Rechtsmediziner fest, dass das Mädchen erstickt ist.
27:47Dieses Rohrsystem ist zu lange. Die Luftsäule bleibt in diesem System stehen und Sie können durch Ihre Atembewegungen keine Ventilation im Rohrsystem herstellen.
28:03Das ist bekannt vom Schnorcheltauchen. Sie können nur mit einem relativ kurzen Schnorchel Luft durch das System anziehen.
28:13Ist es ein oder zwei Meter groß, würden Sie ersticken.
28:15Dieses Rohrsystem war ein Todesurteil.
28:18Da die Luftzufuhr misslang, war der Sauerstoff schon nach wenigen Stunden verbraucht.
28:24So detailgetreu, wie die Kiste gebaut und ausgestattet war, hat der Täter wahrscheinlich nicht geplant, dass Ursula Herrmann darin verstirbt.
28:33Der Sauerstoff dürfte allerdings nach bereits 90 Minuten verbraucht gewesen sein. Ursula ist lebendig begraben worden.
28:39Trotz etlicher Spuren kann die Polizei keinen Tatverdächtigen ermitteln und bittet die Bevölkerung um Mithilfe.
28:47Nach einer Zeugenaussage wird Werner Mazurek festgenommen. Er wohnt keine 300 Meter von Familie Herrmann entfernt.
28:54Mazurek ist hoch verschuldet, hätte das Lösegeld also gut gebrauchen können.
28:58Es gibt Indizien am Tatort und ein wackeliges Alibi.
29:03Doch am Ende reichen die Ermittlungsergebnisse weder aus, um Mazurek zu überführen, noch ihn als Täter völlig auszuschließen.
29:11Die Ermittlungen gegen ihn werden daraufhin eingestellt.
29:14Obwohl der Fall den bayerischen Ermittlern keine Ruhe lässt, verlieren sie Mazurek aus den Augen.
29:19Der Fernsehtechniker zieht mit seiner Frau nach Kappeln in Schleswig-Holstein.
29:24Hier eröffnet er ein Geschäft, in dem seine Frau mitarbeitet.
29:27Doch im Herbst 2007 bringt die Staatsanwaltschaft Augsburg Unruhe in das Leben des Paars.
29:33Man hat einen Trick probiert. Man hat gesagt, wir stören die mal auf in ihrer Ruhe, dort oben in Kappeln.
29:38Man hat eine Hausdurchsuchung beantragt, hat die dann getrennt und hat spekuliert, dass für den Fall, dass sie wieder zusammengeführt werden, die Eheleute, anfangen zu plappern in ihrer Aufregung,
29:51weil sie ja nun wohl 25 Jahre lang dachten, das passiert nichts mehr.
29:55Das war ein Fehlschluss. Das passierte nicht. Die haben sich nicht verräterisch unterhalten.
30:00Die Ermittler zapfen Mazureks Telefone an und obwohl dabei nichts Belastendes gefunden wird,
30:07durchsuchen die Beamten anschließend sein Haus und beschlagnahmen ein Tonbandgerät der Marke Grundig.
30:13Ein Glücksgriff. Das Tonbandgerät ist zwar keine Rarität, doch genau dieses hat eine leichte Tonkopfschrägstellung.
30:21Das führt dazu, dass manche Töne anders klingen, als sie sollten. Das Bayern 3-Signal hört sich dann so an.
30:30Im Oszillogramm des Landeskriminalamtes sieht das so aus.
30:38Bei einem baugleichen Gerät ohne Fehlstellung sieht es etwas anders aus.
30:43Und bei den mitgeschnittenen Erpresseranrufen bei der Familie Hermann so.
30:48Der vorletzte Ton der Erpresseranrufe stimmt auffallend mit dem vorletzten Ton beim Mazureks Gerät überein.
30:54Diese Kopfschrägstellung entsteht durch Sturz, Schlag, falsche Bedienung, falsche Einstellung und so weiter.
31:00Falsche Einstellung kann man vielleicht ausschließen, aber durch alle anderen Umstände kann das entstehen.
31:05Man weiß es nicht, wann es entstanden ist.
31:07Im Februar 2009 kommt Mazurek wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge vor Gericht.
31:14Seine Frau ist wegen Beihilfe mit angeklagt.
31:16Es ist ein reiner Indizienprozess. Es gibt weder DNA noch Fingerabdrücke, geschweige denn Tatzeugen.
31:23Dafür chaotische Polizeiprotokolle und viele Erinnerungslücken.
31:29Nach allem, wie das Verfahren so angelegt ist, denke ich, dass es in Richtung Lebenslange gehen könnte.
31:35Das Gericht verurteilt Werner Mazurek im März 2010 zu lebenslanger Haft. Seine Frau wird freigesprochen.
31:42So, wie es seit 28 Jahren ist. Ich bin unschuldig.
31:48Ihr Mann?
31:51Darüber will ich jetzt nichts sagen. Gar nichts.
31:57Ursulas Bruder glaubt nicht an die Theorie des Einzeltäters Werner Mazurek.
32:02Draußen, die Bevölkerung sagt, hurra, endlich haben wir eine Lösung.
32:06Und der Staat sagt, endlich ist dieser Stachel aus dem Fleisch der Justiz gezogen.
32:12Wir haben den Fall Hermann gelöst.
32:15Und wir als Familie bleiben dann übrig und sagen, nein, es ist leider nicht gelöst.
32:20Und diesen Zustand wollen wir nicht.
32:21Man hätte weiter forschen müssen, findet die Familie.
32:25Ermittler hatten am Tatort einen grünen Klingeldrag gefunden, der als Warnsystem der Entführer benutzt worden sei.
32:31Im Januar 1983 tauchte der Draht bei zwei Schülern des nahegelegenen Elite-Internats in Schondorf auf.
32:39Dem Ort, an dem Ursula zuletzt gesehen wurde.
32:42Diese Spur wird aber nicht weiter verfolgt.
32:462019 verkündet die Augsburger Staatsanwaltschaft, dass es keine weiteren Ermittlungen geben wird.
32:51Daraufhin beschließt Michael Herrmann, den Kampf um eine Wiederaufnahme aufzugeben.
32:57Werner Mazurek bestreitet bis heute, die Tat begangen zu haben.
33:01Im März 2009 geschieht in Winnenden das Unfassbare.
33:08Ein 17-Jähriger geht bewaffnet in seine ehemalige Schule und richtet dort ein Blutbad an.
33:14Der Täter ist ein versierter Schütze.
33:16In den Räumen der Albeville-Realschule und während der anschließenden Flucht tötet er 15 Menschen und am Ende sich selbst.
33:24In die Trauer mischen sich viele Fragen.
33:27Wie konnte der minderjährige Täter so einfach an eine Waffe gelangen?
33:31Und wie kann es sein, dass es bereits zum dritten Mal in Deutschland zu einem Amoklauf solchen Ausmaßes kommen konnte?
33:37Winnenden, 20 Kilometer nordöstlich von Stuttgart. Eine Kleinstadt in der schwäbischen Provinz.
33:45Am 11. März 2009 ist es vorbei mit der Beschaulichkeit.
33:49Für die 1400 Schüler der Realschule in der Albeville-Straße beginnt der Tag zunächst wie jeder andere.
34:00Dann, gegen 9.30 Uhr, betritt der 17-Jährige Tim K. das Gebäude.
34:04Er ist mit einer Pistole der Marke Beretta bewaffnet und hat mehr als 200 Schuss Munition dabei.
34:10Meines Erachtens ging es diesem Täter wirklich nur darum zu töten.
34:17In der Schule kennt der Jugendliche sich aus, da er im Vorjahr hier seinen Abschluss gemacht hat.
34:24Er nähert sich seinem ehemaligen Klassenzimmer, in dem die 9c gerade Deutschunterricht hat.
34:30Es ist Raum 305. Hier sitzt auch der Schüler Dennis.
34:39Die Stunde hat um 9.10 Uhr angefangen, ging dann halt genau in der Mitte von der Stunde, kam halt der *** rein.
34:46Also ich habe, da habe ich gar nicht gemerkt, dass er reingekommen ist.
34:50Und dann habe ich gedacht, der hat irgendwie einen Böller reingeworfen, also weil es so geknallt hat.
34:54Und dann wurde es immer lauter. Und da habe ich eigentlich gedacht, das ist so ein Schert oder so ein Test, wie wir auf sowas reagieren würden.
35:02Und dann habe ich halt gesehen, dass da schon Blut auf dem Boden war.
35:07Und dann ist er auch gleich wieder rausgegangen, nach 10, 5 bis 10 Schüssen.
35:12Und dann hat er auch gleich unsere Lehrerin die Tür zugeschlossen und haben alle auf dem Boden gelegen und alles verbarrikadiert.
35:20Im Raum 305 sterben drei Mädchen, 15, 16 und 14 Jahre alt.
35:28Ihre Mitschüler müssen hilflos zusehen.
35:31Auch Patrick ist im Klassenzimmer. Er kommt mit leichten Verletzungen davon.
35:36Also hier ein Streifschuss.
35:40Dann also hier ein Streifschuss.
35:43Und da hinten irgendwie ein Splitter, also von der an Kugel.
35:54Kriminaltechniker finden später heraus, dass der Schütze in der Schule 60 Schüsse abgefeuert hat.
36:00Drei ehemalige Mitschülerinnen ermordet er von hinten.
36:03Man kann sagen, dass er Klassenzimmer für Klassenzimmer sich vorgenommen hat, hineinging und jeweils aus nächster Nähe Schülerinnen und Schüler erschossen hat.
36:19In dem einen Klassenzimmer befand sich nur eine junge Referendarin, die er ebenfalls aus nächster Nähe erschossen hat.
36:28Die beiden Lehrerinnen hat er offenbar auf dem Flur angetroffen und ebenfalls mit mehreren Schüssen getötet.
36:39Ich gehe davon aus, er hatte einen Plan, weil er die Schule kannte.
36:44Wie kann ein 17-jähriger Teenager derart emotionslos und systematisch töten?
36:51Er hat gar nichts gesagt und hat einfach losgeschossen.
36:54Seine Waffe hat der jugendliche Amokläufer am Morgen aus dem Schlafzimmer seiner Eltern geholt.
37:00Dazu schachtelweise Munition.
37:02Sein Vorgehen erscheint im Nachhinein genau geplant.
37:08Und dann bin ich halt in der anderen Klassenzimmer gegangen und da hat er auch rumgeschossen, also das haben wir gehört.
37:13Dann ist unsere Lehrerin hingegangen, hat die Tür aufgeschlossen, da stand er auch schon vor der Tür.
37:17Hat unsere Lehrerin in den Arm geschossen, aber die hat es dann nochmal geschafft, die Tür zuzumachen.
37:21In der Klasse 10D gibt es die meisten Opfer.
37:26Binnen Sekunden tötet der Teenager fünf Schüler und eine Lehrerin.
37:30Um 9.33 Uhr erreicht der erste Notruf die Polizei.
37:35Die Nachricht vom Amoklauf verbreitet sich schnell.
37:39Die Polizei ruft alle zu dieser Zeit verfügbaren Einsatzkräfte an die Alberwil-Realschule.
37:44Ohne auf das Sondereinsatzkommando zu warten, dringen um 9.37 Uhr zwei Teams der Bereitschaftspolizei in das Schulgebäude ein.
37:52Die Beamten wollen den Täter aufhalten, damit es keine weiteren Opfer gibt.
37:58Diese beiden Interventionsteams sind in die Schule ins Objekt hineingegangen, sich gegenseitig absichernd.
38:07Der Täter hat sofort unsere Kollegen wahrgenommen und auf sie geschossen.
38:17Und daraufhin ist der Täter im Obergeschoss aus der Sicht der Kollegen nach rechts verschwunden.
38:23Es gab dann weitere Schüsse. Die Kollegen sind dann die Treppe hoch in das Obergeschoss vorgedrungen und haben dann das gesamte Blutbad vor Ort angetroffen.
38:40Der Tatort war schrecklich.
38:44Tim K. wächst bürgerlich auf. Sein Vater ist ein angesehener Unternehmer und ein Waffennach.
38:51Diese Leidenschaft teilt er mit seinem Sohn.
38:53Das Zimmer des 17-Jährigen liegt unter dem Dach.
38:57An den Wänden hängen Nachbildungen von Sturmgewehren und Maschinenpistolen, sogenannte Soft-Air-Waffen.
39:03Also es ist ein Keller unten bei denen. Und überall sind die Türen halt vom Hobbyraum, wo man wohnen und hochgeht.
39:12Und da war halt der Flur und da war Schießeinlage. Und am Ende vom Flur war so ein Ziel aufgestellt von ihm.
39:19Was für ein Ziel?
39:20Das war Blatt Papier und da war so Punktzahl drauf.
39:24Im Sportschützenverein Leutenbach darf der Teenager mit echten Waffen üben.
39:31Tims Vater ist dort Mitglied. Der Sammler von Pistolen und Gewehren bewahrt 15 Stück zu Hause auf.
39:38Von ihm wird der Junge eingewiesen in die spätere Tatwaffe, eine Beretta 9mm.
39:42Der Vater hatte mehrere Waffen, aber die waren bis auf eine ordnungsgemäß im Panzerschrank aufbewahrt.
39:53Aber leider hat das, dass die eine nicht aufbewahrt war, dazu geführt, dass der Täter relativ locker an die Waffe herankam und offenbar auch an die Vielzahl von Munitionen.
40:07Der Schüler verbringt in seiner Freizeit viel Zeit vor dem PC. Seine Vorliebe Ego-Shooter-Spiele.
40:15Wegen Depressionen und Gewaltfantasien sucht Tim K. Hilfe beim Psychologen.
40:20Es findet dann zunächst mal natürlich eine Diagnostik statt, wo man feststellen muss, liegen da Störungen vor, liegen da Erkrankungen vor, die psychiatrisch behandelbar sind oder behandelt werden müssen.
40:34Und dann findet eben eine störungsspezifische Behandlung in der Folge statt.
40:41Während die Einsatzkräfte das Schulgebäude Raum für Raum durchsuchen, flieht der Todesschütze unbemerkt aus dem Gebäude.
40:48Er entkommt zu Fuß in Richtung psychiatrische Klinik.
40:53Auf seiner Flucht über das angrenzende Klinikgelände tötet der Amokläufer den Gärtner Franz J. mit mehreren Schüssen.
41:02Auf einem Parkplatz nimmt Tim K. eine Geisel und zwingt diese nach Stuttgart zu fahren.
41:07Im stockenden Verkehr droht die Lage zu eskalieren.
41:11Es hat ihn offenbar, wie uns die Geisel sagte, etwas unruhig gemacht.
41:16Da kam es dann auch zu einer Konversation, in dem der Täter sagte, soll ich die da vor mir alle abknallen, soll ich die alle aus dem Weg schießen.
41:26Die Geisel konnte dann offenbar den Täter etwas beschwichtigen.
41:32Und dann sind sie abgefahren in Richtung Tübingen.
41:35Nach knapp zwei Stunden bemerkt die Geisel Igor W. einen Streifenwagen.
41:41Ruckartig reißt er das Lenkrad herum, manövriert den Wagen auf den Seitenstreifen und springt aus dem rollenden Auto.
41:48Der Amokläufer flüchtet in ein Autohaus in Wendlingen.
41:51Dort fordert er einen neuen Fluchtwagen und tötet noch zwei Menschen.
41:55Es sind seine letzten Opfer. Draußen fährt die Polizei vor.
41:59Der 17-Jährige schießt. Die Beamten werden überrascht und gehen hinter parkenden Autos in Deckung.
42:05Dann schießen sie zurück. Noch 40 Schüsse feuert der Amokläufer ab.
42:10Ich habe einen Polizisten gesehen, ich habe einen Knall gehört und gedacht, was ist jetzt passiert.
42:17Und gucke nach unten und hier rennen Polizisten rum und schießen.
42:21Und dann habe ich da gesehen, da ist ein Polizist gelegen. Und da drüber war irgendwas.
42:31Als ihn die Kugel eines Polizisten am Bein trifft, tötet sich Tim mit einem Schuss in den Kopf.
42:36Die Frage, ob seine Eltern über die Tötungsfantasien ihres Sohnes informiert waren, bleibt offen.
42:44Die meisten Amokläufer im Vorfeld ihrer Tat kapseln sich sozusagen ein.
42:48Was wir auch gefunden haben, sie isolieren sich vorher. Sie gehen in eine Fantasiewelt rein.
42:52Und wenn sie in einer konkreten Planungs- und Vorbereitungsphase sind, werden sie häufig praktisch so,
42:57dass sie darauf achten, dass niemand mehr etwas mitbekommt, gerade ihr Elternhaus nicht.
43:02Das Landgericht Stuttgart hält den Vater des Todesschützen für mitschuldig.
43:06Die Strafe, ein Jahr und sechs Monate wegen fahrlässiger Tötung und Verstoßes gegen das Waffengesetz.
43:11Ausgesetzt zur Bewährung. Aber der Vater will in Berufung gehen.
43:16Unser Mandant ist jetzt zunächst mal froh, dass er das Verfahren unbeschadet überstanden hat.
43:22Und nun werden wir schauen, wie das Verfahren weiter fortgeführt werden kann.
43:26Bei den Angehörigen der Opfer findet das Urteil Zuspruch.
43:29Ihnen geht es nicht um Rache, sondern darum, dass der Vater zur Rechenschaft gezogen wird.
43:36Nach dem Armaglauf von Winnenden wurden die Waffengesetze verschärft.
43:41Für das Schießen mit Großkaliberwaffen erhöhte sich die Altersgrenze von 14 auf 18 Jahre.
43:46Außerdem führte der Gesetzgeber zusätzliche Kontrollen ein, um sicherzustellen,
43:50dass Waffen in Privatwohnungen vorschriftsgemäß aufbewahrt werden.
43:55Das war unser letzter Fall für heute.
43:57Schalten Sie auch das nächste Mal wieder ein bei Anwälte der Toten.
44:00Auf Wiedersehen.

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