Expedition ins Gehirn - Teil 03 Der große Unterschied

  • vor 9 Jahren
3. Der große Unterschied

Prof. Simon Baron-Cohen, der als einer der kompetentesten Autismus-Experten der Welt gilt, hat keine Angst, sich unbeliebt zu machen. Baron-Cohens Erkenntnisse brechen mit dem Dogma, wonach sich Männer- und Frauen-Gehirne nur unwesentlich unterschieden. Das Funktionsprinzip des extrem männlichen Gehirns kann seiner Ansicht nach Genies und Monster hervorbringen - und Savants.
"Männliche und weibliche Gehirne weisen gravierende Unterschiede auf", behauptet der Professor der Universität Cambridge. Das weibliche Gehirn sei ein "E"-Gehirn, was für Empathie steht, also die Fähigkeit, sich in die Gefühle und Denkweisen anderer hineinzuversetzen. Männer dagegen hätten tendenziell ein "S"-Gehirn, was für System stehe: Motoren, Computer, Briefmarkensammlungen. Im Extremfall führe diese "männliche" Gehirn-Konstellation zu Autismus und anderen Defekten. Und dazu, dass Männer eher zu "Savants" würden, mit wundersamen Fähigkeiten, aber sozialen Defiziten.

Temple Grandin versteht Tiere besser als Menschen
Als kleines Mädchen sprach Temple Grandin gar nicht. Und danach hänselten die anderen Schulkinder sie, weil sie "wie ein Kassetten-Rekorder" aufgeschnappte Worte und Sätze nur abzuspielen schien. Menschensprache hat sie sich - Dank ihrer herausragenden Intelligenz - als "Fremdsprache" angeeignet. Die Sichtweise von Tieren aber, die ebenfalls nicht in Sprache, sondern in Bildern "denken", kennt Temple wie ihre Muttersprache. Prof. Baron-Cohen ist überzeugt, dass in Temples Kopf ein eher männliches "System-Gehirn" arbeitet.

Dr. Temple Grandin ist heute die wichtigste Frau in der Viehindustrie der Steak- und Burger-besessenen USA. Sie hat mehr als die Hälfte aller Tierzuchtanlagen der größten Fleisch produzierenden Nation der Welt gestaltet. Sie kennt die Ängste der Kühe, Schweine oder Schafe genau. Doch die Gefühls- und Denkwelten der Normalmenschen kann sie nach wie vor nicht verstehen. Sie wird sich nie im Leben verlieben können. Ebenso wenig wie Christopher Taylor. Er wäre nicht in der Lage, den Weg zum Pub in dem Dorf zu finden, in dem er seit 20 Jahren lebt. Aber Christopher liest in fast 25 Sprachen Zeitung und spricht rund zehn Sprachen mehr oder weniger fließend.

All das wegen einer Überdosis Testosteron?
Wissenschaftler wie Simon Baron-Cohen denken inzwischen, dass eine Überdosis des männlichen Geschlechtshormons Testosteron während der embryonalen Entwicklung zur Extremform des männlichen Gehirns führt und damit zu Autismus und in Einzelfällen zu Savant-Fähigkeiten. Sind also Männer und Frauen im Prinzip extrem unterschiedlich "verkabelt"? Sind Männer tendenziell aggressiver und gewaltbereiter, weil tief liegende Regionen im "männlichen" Hirn sie dazu prädestinieren? Ist das durchschnittliche Frauengehirn zwar weniger "systemtalentiert", aber gerade deshalb mehr für Kommunikation, Ausgleich und Verständnis geeignet?

Empfohlen