Jürgen von der Lippe - Der Mann mit dem Mantel 1980

  • 9 years ago
Jürgen von der Lippe - Der Mann mit dem Mantel 1980

Nachmittag in der kleinen Stadt,
nur in den Schwalbennestern geht’s hoch her.
Selbst der Verkehrspolizist lächelt still in sich hinein,
er denkt gewiss an den Feierabendverkehr.
Nur drei Omas bewerfen zwei Tauben mit Brot
und gönnen ihnen keine Ruh.
Und lang auf der Bank liegt ein alter Student
- er träumt noch immer ... von Katmandu.

Und dann kommt der Mann mit nichts unterm Mantel an.
Und er hebt ihn an, so dass ihn jeder sehen kann.
Niemand nimmt Notiz, nur der strenge Verkehrspolizist
geht hin und schnappt zu, und dann ist wieder Ruh.

Nachmittag am Nacktbadestrand,
alles schläft und einsam wacht ein Kind.
Das setzt versonnen ein kleines Häufchen in den Sand
und sieht die Dinge so, wie sie nun einmal sind.
Auch der Eisverkäufer ist stumm wie das Meer,
und das hat seinen guten Grund,
denn auch der Mann mit dem Eis am Stiel hat nichts an
und trägt das Wechselgeld ... im Mund.

Und dann kommt der Mann mit seinem langen Mantel an.
Und er freut sich dran, was er hier so alles sehen kann.
Niemand nimmt Notiz, nur der Bademeister nimmt es krumm.
Er geht hin und schnappt zu, und dann ist wieder Ruh.

Nachmittag auf dem Waldfriedhof,
der alte Totengräber ist nicht mehr.
Er schaufelte sich noch schnell sein eigenes Grab
und nur sein Hund weint ihm ein paar Tränen hinterher.
Der Alte brachte ihm so manchen Knochen mit,
der bei der Arbeit liegen blieb.
Und so was vergisst ja ein Schäferhund nie,
und der Pfarrer predigt heute besonders lieb.

Und er hat auch wieder diesen langen Mantel an
und ist ganz enttäuscht, dass er hier nicht landen kann.
Denn niemand nimmt Notiz, und dem Schäferhund ist es Wurscht.
Er geht hin und schnappt zu, und nun ist endlich Ruh.